Simon Fujiwara hat im Kunsthaus Bregenz das Anne Frank-Museum nachgebaut, um den Kapitalismus zu kritisieren. So ganz geht diese Rechnung nicht auf
Im Erdgeschoß des Kunsthaus Bregenz liegen fein säuberlich aufgereiht die Einzelteile des Modells, mit dem alles anfing. Simon Fujiwara, Konzept- und Post-Internet-Künstler, hat das kleine Pappmodell bei seinem Besuch des Anne Frank-Museums im Souvenirshop entdeckt. Es ist eine Nachbildung des Hauses, in dem Anne und ihre Familie sich einst versteckten. Es ist die Kopie einer Kopie, denn auch das Haus ist heute mehr Nachbildung als Original, restauriert und umgestaltet, damit es so authentisch wie möglich aussieht. Im Kunsthaus liegt dieses Modell nun also im Erdgeschoss, altarisch aufgebahrt auf einer weißen, ultrasleeken Präsentationsfläche, welche die Assoziation eines Apple-Shops hervorruft. Fujiwara hat dieses Modell für seine Einzelausstellung “Hope House” auf seine Originalmaße vergrößert. In Tel Aviv hatte Fujiwara einzelne Elemente dieser Arbeit bereits in den Grundriss einer Galerie eingearbeitet, in Bregenz findet sie dank der Mithilfe tüchtiger Handwerker aus dem Bregenzerwald nun freistehend ihre Vollendung: ein Haus im Haus, ein Museum im Museum, auf glatte Holzplatten aufgedruckte Backsteine umgeben von einem massiven Kubus aus Beton. Es sieht unberührt aus, eben nicht wie ein echtes Haus, sondern wie ein überdimensionales Pappmodell, an seinen Wänden versehen mit Zitaten aus Annes Tagebuch, in denen sie über die jeweiligen Räume spricht. Über die Kanten des Modellhauses hinaus blicken wir durch die dekonstruierten Milchglas-Deckenplatten in die versteckten Zwischenräume des Kunsthauses hineinblicken.
Fujiwara hat das Haus eingerichtet – mit seinen eigenen künstlerischen Arbeiten, aber auch mit Artefakten unser turbokapitalistischen westlichen Gesellschaft: im ersten Stock finden sich Produkte aus einer schicken Boutique in London, in der man im entspannten Ambiente Produkte für Flüchtlinge kaufen kann und die man nach dem Bezahlen mit leeren Händen, aber einem reinen Gewissen verlässt; Eintrittskarten des Apartheid-Museums in Südafrika, in dem man durch seine Eintrittskarte zufällig als schwarz oder weiß kategorisiert wird, damit man den Schrecken wirklich hautnah erleben kann; zu Skulpturen veredelte Heimmülltrennungssysteme, die Umweltbewusstsein stylisch werden lassen. Ein Stockwerk höher geht es um die Vermarktung des Selbst: wir werden begrüßt von “Joanne”, einer älteren Videoarbeit von Fujiwara, mit der er seiner ehemaligen Lehrerin Joanne bei der Neuerfindung ihres Image hilft. Durch einen Nacktfotoskandal in Ungnade gefallen, will die wunderschöne Künstlerin nun allen beweisen, dass sie eben nicht nur die Skandallehrerin aus der Yellow Press ist, sondern auch: Boxerin, Marthonläuferin, Kämpferin, aber auch verletzlich und nachdenklich. Wir sehen, wie Joanne sich mit Matsch einschmiert, mit einem Chamäleon posiert, im Studio trainiert, in den Sonnenuntergang joggt. Dazu läuft diese typische Imagefilm-Musik, die man schon tausendmal in Kickstarter-Videos oder Zutaten-Aftermovies gehört hat. Das Ganze wirkt an manchen Stellen brilliant inauthentisch, mal erregt es Mitleid in uns für diese wunderschöne, anmutige Frau, mal wirken dieses Video und diese Frau mit ihren Problemen so oberflächlich, dass es kaum auszuhalten ist. “Joanne” ist ein fantastisches Kippbild, wunderschön und selbst (oder vielleicht sogar gerade) an seinen emotionalsten Stellen anekelnd oberflächlich, die stärkste Arbeit dieser Ausstellung.
Ein Paar Schritte weiter ist die als Bücherregal getarnte Tür zu Annes Versteck ausschließlich mit gebrauchten Ausgaben von Fifty Shades of Grey gefüllt. Von diesen, verrät uns ein Wandschild, wurden so viele an Oxfam gespendet, dass die die Wohltätigkeits-Secondhandkette öffentlich um Einhalt bitten musste – die Entsorgung von Schmuddelliteratur, die gleichzeitig das Karma aufwertet, ist aber auch einfach zu verlockend. Hinter der Tür erwartet uns nach einem kurzen Treppenaufstieg ein Wandtattoo, auf dem die Image Principles der Reisebloggerin Amelia Liana nachzulesen sind. Liana veröffentlichte diese, nachdem sie in der Boulevardpresse für die übermäßige Nachbearbeitung ihrer Instagram-Fotos kritisiert worden war. Sie posierte beim Vorüberziehen pittoresker Vogelschwärme vor dem meschenleeren Taj Mahal und betrachtete aus ihrem Hotelfenster eine Skyline New Yorks, die offenbar nachträglich aus einem mehrere Jahre älteren Foto eingefügt worden war. Nach dem Skandal kommt, das haben wir bereits von Joanne gelernt, das Rebranding: die sechs Prinzipien deklarieren solche Dinge wie “I never use editing techniques to alter my body or my face – what you see is how I am”, der Daily Mail gegenüber erklärte Liana: “meine Follower betrachte ich als meine Freunde, ich würde sie niemals betrügen”.
So wie Joanne und Amelia muss auch Anne Frank heute zur Marke gemacht werden, um im kollektiven Gedächtnis bestehen zu können, so Fujiwaras These. Deshalb dieses Modell zum Zusammenbauen, deshalb das Aufblasen auf Lebensgrösse. “Die Leute fragen immer, ob ich das Modell gut oder schlecht finde – ab Die Frage ist doch, warum so etwas existiert: Damit die Erinnerung an Anne Frank in einer kapitalistischen Welt fortbesteht”, erklärt Fujiwara in einem Video.Doch dabei vergisst der Künstler die pädagogische Funktion, die dieses Haus haben kann. Es ist Anschauungsmaterial zum Mitnehmen, mit ihm lässt sich Annes Schicksal visuell nachvollziehen.Wahrnehmen und Sehen, das sollte ihm als bildender Künstler eigentlich klar sein, kann Erkenntnissen und Gefühle vermitteln, die sich nicht in Worte fassen lassen. Die Betrachtung des Modells als Ausgeburt des Kapitalismus ist deshalb zu kurz- und einsichtig gedacht. Die Artefakte, die Fujiwara ausstellt beweisen, dass es tausende Objekte gibt, in denen sich neoliberale Paradigmen manifestieren. Dass er aus all ihnen ausgerechnet jenen Haus-Bausatz ausgewählt hat, hinterlässt den faden Beigeschmack einer wahllos provozierten Schockwirkung.
“Hope House” ist noch bis zum 02.04.2018 im Kunsthaus Bregenz zu sehen.