Bitcoin, Blockchain, Smart Contracts – kaum ein Seminar vergeht, in dem diese Begriffe nicht von Mitstudierenden oder Dozenten verwendet werden, des öfteren in Form von eher halbgarem Wissen und begleitet von verunsicherten Blicken der Anwesenden – auch weil dieser Themenkomplex regelmäßig als Beispiel für eine neue digitale Revolution angebracht wird, deren Entwicklungen noch kaum abzusehen sind. Im Versuch, den Schleier der Unwissenheit über digitale Währungen und das ihnen zugrunde liegende System zu lichten, fanden sich am Montag zahlreiche eifrige Jungliberale und andere Gäste in der Blackbox ein, um dem von der Liberalen Hochschulgruppe (LHG) und der ZU Finanzgruppe (ZUFin) organisierten Vortrag “Blockchain – Die Kryptoökonomie”, beizuwohnen. Der aus Österreich stammende Gastredner Lukas Leys studierte unter anderem in Innsbruck und Oxford und befasste sich in seiner Masterarbeit mit den Themen Blockchain und Bitcoin.
Was ist die Blockchain und was hat sie mit dem Bitcoin zu tun? Leys holt aus, um die gesamte Tragweite des Bitcoins und der Blockchain zu verdeutlichen – wir werden später erfahren, dass die Möglichkeiten der Blockchain nicht auf Kryptowährungen beschränkt sind, sondern weit darüber hinausgehen. Die Geschichte des Bitcoin und der ihm zugrunde liegenden Technologie beginnt im Jahre 2008. Mit der Veröffentlichung eines Whitepapers legt eine unbekannte Person unter dem Pseudonym „Satoshi Nakamoto“ auf gerade einmal 8 Seiten den Grundstein für die Entwicklung von Kryptowährungen. Im Gegensatz zu früheren, digitalen Währungen kommt der Bitcoin aufgrund der Blockchain-Technologie völlig ohne Vertrauen aus.
Der wichtigste Aspekt der Blockchain drückt sich in der Dezentralisierung des Netzwerkes aus. Konventionelle Dienste im Internet hingegen vertrauen bisher auf zentralisierte Systeme. Dies wiederum hat zur Folge, dass Netzwerke wesentlich verwundbarer sind, da ein gezielter und erfolgreicher Hackerangriff das System aufgrund seiner Zentralisierung direkt ins Mark treffen kann.
Darüber hinaus ist der Nutzer bei Transfers im Internet, insbesondere Überweisungen, immer auf einen ‚intermediary“ angewiesen.
„Wer in diesem Raum hat im Internet schon einmal Geld überwiesen?“ fragt Leys in die Runde. Die meisten Anwesenden heben leicht zögernd und irritiert die Hand. „Wenn sie dafür das Online-Banking ihrer Bank benutzt haben, war das eben nicht der Fall!“ führt er weiter aus. Denn an einer im Internet getätigten Überweisung im Inland sind durchschnittlich sechs „intermediaries“ beteiligt, bis der eigentliche Rezipient das Geld erhält.
Der Bitcoin reduziert die Anzahl der Mittler auf null, führt also eine direkte Überweisung von A nach B durch. Eine Besonderheit des Bitcoin ist die Anonymität – für jede Überweisung kann ein neues Pseudonym im Netz erstellt werden, welches den eigentlichen Absender maskiert. Es ist dann zwar ersichtlich, dass eine Überweisung in einer bestimmten Höhe getätigt wurde, jedoch nicht zwischen welchen Personen. Es ist vor allem dieser Aspekt und die Wertschwankungen des Bitcoin, welche der digitalen Währung einen teils zweifelhaften Ruf eingebracht haben. Nachdem bekannt wurde, dass er für den Großteil der Transaktionen im Darknet genutzt wird, unter anderem auf der Handelsplattform „SilkRoad“, welche Handel mit Drogen und gefälschten Ausweisen betrieb, titelten Wirtschaftsmagazine das Zahlungsmittel bereits als „Shitcoin“.
Doch was hat das alles mit der Blockchain zu tun? Im Grunde ist sie eine Datenbank, die Informationen jeder Art speichern kann, wie zum Beispiel Überweisungsprotokolle, Eigentumsrechte oder Kontostände. Das Besondere: diese Datenbank liegt nicht in der Hand eines privaten Besitzers, eines Konzerns oder eines Staates – sie ist auf auf tausenden verschiedenen, miteinander verbundenen Computern gespeichert, welche die Informationen kontinuierlich abgleichen. In der Folge werden Daten irreversibel und quasi fälschungssicher gespeichert. Wird eine Bitcoin-Überweisung getätigt, werden kryptographische Verfahren ausgelöst. Die Informationen der Überweisung werden an das Netzwerk geschickt, welches von den „Minern“ gepflegt wird. Sie bilden die digitale Infrastruktur der Blockchain, über ihre Computer werden die Informationen über Nutzer und Transaktion verifiziert. Bestätigt das Netzwerk die Überweisung, wird sie mit anderen in einem „Block“ zusammengefasst, der später mit der „Blockchain“ verkettet werden wird. Um zu verhindern, dass falsche Informationen in den Block eingeschleust werden, müssen die Miner ein mathematisches Rätsel lösen, damit ein Block an die Blockchain angehängt werden kann. Der erste Miner, der dies schafft, erhält als Belohnung Bitcoins. Auf diesem Wege findet das „Mining“, also die eigentliche Erzeugung des Bitcoin statt.
Dieses „Proof-of-Work“-Verfahren stand aufgrund seines hohen Energieverbrauchs bereits in der Kritik – mittlerweile reichen zusammengeschaltete Grafikkarten einzelner Rechner nicht mehr, um die Rätsel zu lösen. Miner betreiben daher ganze Rechenzentren in Island oder China, da die Stromkosten dort niedriger sind. Es ist jedoch ein Irrglauben, dass die Blockchain lediglich auf diesem Wege funktioniert. Zwar ist das Verfahren charakteristisch für das Bitcoin-Mining, jedoch existieren für andere Blockchains auch andere Verifizierungs- beziehungsweise Mining-Verfahren.
Aufgrund der Blockchain-Verschlüsselung gilt das Bitcoin-Netzwerk als unhackbar, bisher schlug jeder Angriff fehl. Denn um Änderungen an einem Block vorzunehmen, müssten auch alle anderen Blöcke bis in das Jahr 2009 verändert werden. Der Arbeitsaufwand dafür beliefe sich auf rund 200 Tage und müsste auf 10 Minuten komprimiert werden, da die Blockchain nach Ablauf dieser Zeit einen neuen Block hinzufügt und ihre Codierung erneuert.
Eben diese Funktion eröffnet schier unermessliche Nutzungsmöglichkeiten. Eine davon sind die “Smart Contracts”, intelligente Verträge in der Blockchain, die ihre eigene Erfüllung überwachen. Sie gleichen “Wenn-Dann”-Funktionen. Axa bietet nach diesem Prinzip bereits eine Versicherung gegen Flugverspätungen an. Sollte sich ein Flieger mehr als zwei Stunden verspäten, wird die Entschädigung automatisch an den Kunden überwiesen, ohne dass der Fall gemeldet werden muss oder Belege eingereicht werden müssen.
Das Start-Up Everledger verwaltete Besitzzertifikate für Diamanten. Da jeder Diamant eine einzigartige Struktur besitzt, könnten Diebstahl und Schmuggel der Edelsteine eingedämmt werden, indem diese in der Blockchain registriert werden. Mit Urkunden und Zertifikaten könnte ähnlich verfahren werden – Verwaltungen könnten auf die Weise ihr Register digitalisieren und so eine erhebliche Prozessoptimierung vollziehen. Auch das bisherige Problem des E-Voting könnte durch die fortschrittliche Technologie gelöst werden – durch die Blockchain könnte sichergestellt werden, dass jeder seine Stimme nur einmal abgibt und die Wahl nicht manipuliert wird.
Slock.it ist ein Start-Up, das mithilfe der Blockchain-Technologie darauf abzielt, die digitale Welt mit der analogen zu verbinden. Die Gründer möchten ein Netzwerk aus intelligenten Schlössern verwirklichen, unter anderem für Autos, Fahrräder und Wohnungen. Möchte ein Nutzer ein Fahrrad mieten, so wird durch die Überweisung der Mietgebühr über die Blockchain das Schloss für diesen Nutzer freigeschaltet. Die Transaktion und die Freischaltung ist dann auf der Blockchain gespeichert – das System hätte dadurch auch dann Fortbestand, wenn die Firma Konkurs anmelden sollte.
Denkt man das Konzept weiter, könnte durch Blockchains die Entwicklung autonomer Maschinen vorangetrieben werden – durch Smart Contracts könnte beispielsweise eine Waschmaschine automatisch Waschmittel nachkaufen, sobald dieses zur Neige geht, oder einen Reparatur-Service bestellen, wenn Bedarf besteht. Ein Auto könnte selbstständig das Parkticket für den Platz bezahlen, an dem es einparkt. Zusammengefasst werden diese Möglichkeiten unter dem Begriff “Economy of Things”, eine Weiterentwicklung des “Internet of Things”. Maschinen würden nicht nur miteinander kommunizieren, sondern sich auch gegenseitig bezahlen.
Wie jede neue Technologie steht auch diese noch in den Anfängen und sieht sich mit Problemen konfrontiert. Das Verifizierungsverfahren macht die Blockchain zum einen sehr sicher, jedoch auch verhältnismäßig langsam. Der Anbieter “Ethereum” gilt als schnellste Blockchain und schafft circa 15 Transaktionen pro Sekunde – das zentralisierte System von Visa dagegen schafft 1500 in derselben Zeit. Auch der rechtliche Rahmen muss noch weiter geklärt werden, beispielsweise dahingehend, ob Blockchain-Daten als Beweismittel für Besitzansprüche vor Gericht geltend gemacht werden dürfen. Davon, dass die Blockchain einen breiten Siegeszug anstrebt, sind jedoch viele überzeugt. Allein 2016 investierte die Tech-Branche 1,4 Milliarden Dollar in die Entwicklung. IBM beschäftigt beispielsweise in München 1000 Mitarbeiter, welche sich auf die Weiterentwicklung von Blockchain-Projekten fokussieren. Die genannten Anwendungsfelder sind lediglich ein kleiner Ausschnitt des Potentials von Blockchain-Anwendungen. Sie könnten weitreichende Auswirkungen auf Banking, Sicherheit, Prognosen, Cloud Storage, Versicherungen, Crowdfunding, Recht, Immobilien und Regierungen haben – die Möglichkeiten sind schier unbegrenzt.
Einen immens wichtigen Beitrag könnte die Blockchain für die Etablierung eines zensurfreien Internets leisten. Durch ein dezentralisiertes Internet, oder Web 3.0, könnten Websites und Inhalte auf tausenden von Rechnern gehostet werden, anstatt auf zentralen Servern. Autoritären Regimen wäre es damit praktisch unmöglich, das Internet zu zensieren. Durch ein dezentralisiertes Banking ohne Geschäftsbanken als Mittler könnten zudem Entwicklungsländer, in denen ein Großteil der Menschen “underbanked” ist, wesentlich stärker in den Handel und die globale Wirtschaft integriert werden.
10 Jahre nach der Veröffentlichung des Whitepapers durch die ominöse Person Nakamotos steht das Internet vor einer Revolution, die vermutlich alle Bereiche der bestehenden Gesellschaft betreffen wird und das Potential für weitreichende Transformationen sowohl auf der Mikro- als auch der Makroebene in sich trägt. Vielleicht war die Erfindung des Internets, vielfach angepriesen als demokratisierendes Medium und Speerspitze der Informations- und Meinungsfreiheit, nur der erste Schritt zu einem System, dass mithilfe der Blockchain-Technologie tatsächlich bessere Zugangschancen auch für bisher weniger Privilegierte bietet und Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Kultur nachhaltig beeinflussen wird. Es bleibt offen, ob Satoshi Nakamoto dieses Ziel vor Augen hatte, als er seinen Bitcoin-Algorithmus schrieb, auf jeden Fall blickte auch er Richtung Zukunft – nach derzeitigen Berechnungen wird der letzte Bitcoin erst im Jahre 2140 geschöpft.