AfterCare – Warum macht das nicht jeder? | #TheOtherSide

Pärchen, dass sich tief in die Augen starrt | Vertrauen
Deep Eyes | Photo by Toa Heftiba, Unsplash

Eine der wichtigsten BDSM Praktiken hat weder mit Seilen noch mit Peitschen zu tun. Man würde sie eher bei frisch verliebten erwarten. Bei dem Paar, das zum ersten Mal die Nähe zueinander genossen hat und noch voller Zauber ist. Der Sex ist vorbei und sie wollen trotzdem mehr – mehr Nähe, mehr Sicherheit, mehr Geborgenheit. Ihre Adern, durchflutet von Oxytozin. Was das mit BDSM zu tun hat? Sie fangen sich gegenseitig auf – genau das ist Aftercare und in diesem Artikel erkläre ich euch, warum ihr alle damit anfangen solltet!

Die Session ist vorbei. Schweiß tropft von den Körpern, das Seil hat seine Spuren hinterlassen, der Arsch voller Striemen und meine Schulter blutet leicht von Ihren bissen. Keine zwei Minuten nach dem Rausch fühlt man sich nüchtern, alles ist vorbei … und jetzt? Johanna fühlt sich auf einen Schlag nackt, ich sehe es in Ihren Augen. Da ist eine Kälte, die an ihr hochkriecht und sie zittert lässt. Meine Aufgabe: Aftercare.

Warum ist Aftercare so wichtig?

Nur, weil alle Beteiligten vorher ihr Einverständnis gegeben haben, bedeutet das nicht, dass es nach der Play-Time vorbei ist. Jeder erlebt eine Session (Scene) anders – was alle gemeinsam haben ist eine hohe Intensität, insbesondere für den Bottom (unterwürfigen Partner). Es ist nicht untypisch, dass im Anschluss ein sub-drop folgt: Der Endorphin-Spiegel fällt, Adrenalin flutet den Körper. Bei vielen löst das eine tiefe Traurigkeit, Unsicherheit oder andere negative Gefühle aus. Diese gilt es als Partner aufzufangen.

Es gibt kein Universalrezept für Aftercare.

Was in jedem Fall hilft, ist Empathie. Ziel ist es, dass sich alle Beteiligten im Nachgang emotional stabilisieren und wieder wohl fühlen. Man kümmert sich umeinander, dabei ist Kommunikation das wichtigste, verbal und non-verbal. Wie genau das aussieht, kommt immer darauf an wie beide ticken. Versucht zu spüren, was der andere braucht. Aftercare beginnt dabei schon vor dem Spiel. Wenn Ihr euch unsicher seid: fragt. Das zeigt, dass ihr euch um den anderen sorgt. Bei Johanna wusste ich, dass sie wärme braucht.

Nach der obigen Session saß sie auf dem Bett, mit dem rechten Arm lege ich eine Decke über ihre Schultern und umarme sie, mit der Linken reiche ich ihr das Wasserglas. Sie trinkt gierig. Nach zwei Minuten Schweigen und umarmen – ihr Kopf an meiner Schulter – frage ich sie nach Tee. Sie schaut in meine Augen und flüstert ein leises ja. Nach einer weiteren Minute laufe ich in die Küche und gieße uns Tee auf.

Aftercare? – Ja, aber bitte richtig!

Es gibt keinen Königsweg, aber es gibt Grundregeln, an denen sich jeder orientieren kann. Ihr seid dafür verantwortlich, dass sich euer Partner sicher fühlt und entspannen kann. Im Kern geht es darum, eurem Partner zu vermitteln, dass ihr ihn wertschätzt, auch nach dem Orgasmus. Zeigt einander, dass ihr eine wundervolle Zeit genossen habt. Lief es nicht so gut, ist es um so wichtiger darüber zu reden. Bietet eine Save-Zone, damit sich euer Partner frei ausdrücken oder auch zurückziehen kann.

Gerade ein One-Night-Stand (ONS) kann schnell zur Herausforderung werden. Wer sich öffnet, macht sich verletzbar. Dennoch ist es wichtig, dass ihr eurem Partner gegenüber offen seid und Empathie zeigt, über eure Erfahrung redet. Klärt auch, ob ihr euch wiedersehen wollt und vermeidet falsche Hoffnungen.

Die Hosen sind wieder angezogen, doch Aftercare endet erst, wenn beide wieder in einer positiven Stimmung sind. Nachdem Johanna und ich den Tee ausgetrunken haben gehen wir, wieder angezogen, in die Küche. Über zwei Stunden, sitzen wir in der Küche und reden. Beim Gespräch vergessen wir beide die Zeit. Als wir Hunger bekommen richten wir uns gemeinsam Panini und kochen einen Mokka. Nach dem Essen geht sie mit einem Lächeln aus der Wohnung.

Pflicht und nicht Kür – darum sollte jeder Aftercare praktizieren.

Wer frisch verliebt ist, macht vermutlich alles richtig. Man bekommt nicht genug, süchtig hängt man an den Lippen des anderen, verliert sich in den Augen. Kuscheln nach dem Sex ist eine Selbstverständlichkeit. Doch was ist mit ONS und Langzeitbeziehungen? Grundsätzlich ist Sex niemals eine Selbstverständlichkeit, sondern immer ein intimer Moment, den man mit Partner(n) teilt. Diese Intimität sollte unter keinen Umständen abrupt enden – egal ob Quicky in der S-Bahn oder romantisch bei Kerzenschein.

Beim ONS liegt die Herausforderung häufig in Angst oder fehlendem Vertrauen – Langzeitbeziehungen haben ganz eigene Challenges. Man gewöhnt sich an den Partner und der Alltag kehrt ein – auch ins Sexleben. Ist die Verliebtheit verschwunden, lässt auch die Aftercare nach, besonders von männlicher Seite. Doch gerade hier ist es wichtig, sich die Zeit zu nehmen. Aftercare zeigt eurem Partner, dass ihr ihn respektiert und er euch wichtig ist. Regelmäßig Wertschätzung für den anderen auszudrücken, ist ein Schlüssel zu einer langfristig glücklichen Beziehung.

Bei euch läuft alles rund? Macht es trotzdem.

Denn auch in Vanilla-Beziehungen erfahren vor allem Frauen nach dem Sex immer wieder Angstzustände, die einem sub-drop nicht unähnlich sind. Eine Studie aus dem Jahr 2015 zeigt, dass 46 Prozent der 230 Probandinnen mindestens einmal unter „postcoital dyshoria“ – einer Art Angstzustand – litten. Zudem gaben 5 Prozent der Probandinnen an, diese Erfahrung mehrfach in den letzten vier Wochen erlebt zu haben. Die Ursachen können vielfältig sein – es ist aber die Aufgabe des Partners eben solche Gefühle aufzufangen.

BDSM-Scenes können psychische oder physische Extremsituationen sein – aber auch in regulären Beziehungen können ähnliche Situationen aufkommen. Immer nur Blümchensex ist ja auch langweilig. Viele Paare probieren daher mal etwas Neues, wie Analsex, Augenbinden oder auch Handschellen aus. Habt dabei aber vor Augen: Was für euch ein Traum ist, kann euren Partner viel Überwindung kosten. Gute Aftercare beginnt hier schon vor dem Spaß – redet mit eurem Partner. Bereitet etwas zu trinken vor: Schokolade für Blutzucker und Glückshormone kann Wunder für Gesprächsatmosphären bewirken.

Nähe, Zärtlichkeit und Kommunikation führen eindeutig zu einem besseren Sexleben für alle Beteiligten.

Unterm Strich ist Aftercare einfach nur ein fancy Ausdruck. Worum es geht ist sicherzustellen, dass alle glücklich sind und mit einem positiven Gefühl zurück in den Alltag gehen. Und vielleicht mit einem verschmitzten Lächeln an die Erfahrung zurückdenken. Euer persönlicher Bonus: wenn ihr über euren Sex redet, erfahrt ihr eure Stärken und Schwächen und ihr werdet sehen: etwas zu üben war noch nie so spanend!


TheOtherSide – Die Kolumne für Sex, Liebe, Leidenschaft erscheint die kommenden zehn Wochen immer Donnerstags für euch. Letzte Woche gab es eine Einführung in die BDSM-Scene. Kommende Woche bin ich für euch auf der Obscene (Kinkster-Messe).