Friedhofshafen ist nicht nur ein Song der Punkrockband 110 Prozent – sondern auch der inoffizielle Titel und die Heimathymne der Zeppelin-Stadt. Das will eine motivierte Häflerin ändern: Alissa Lipp reicht es – wir müssen Aufleben! (Part I)
Donnerstag der 22. August 2019, 18:13 Uhr – ich bin im Stress, keine zwei Tage und der Boden unter meinen Füßen ist Lettisch. Mein Rucksack ist noch nicht gepackt, die Steuer noch offen und der kaputte Drucker muss auch noch zur Reparatur. Und das Schlimmste? In nicht mal 20 Minuten bin ich mit Alissa Lipp verabredet – schnell aufs Rad und los gehts.
Alissa Lipp ist 32, Häflerin und hat ein Problem, dass die meisten von uns teilen: Friedhofshafen. Hier am schwäbischen Meer ist die Welt halt noch beschaulich, der Döner schließt spätestens um 23:00 Uhr, richtig feiern kann man ohnehin nicht und dennoch beschweren sich Anwohner über Krach. Das möchte Alissa ändern.
Ich komme etwas gestresst und mit „Schüsse in die Luft“ im Ohr am Ferdinand an – Sie wartet gemeinsam mit ihrem Mann auf der Terrasse, wir begrüßen uns herzlich. Nach etwas Smalltalk bestellen wir eine Runde Weinschorle und kommen zur Sache.
Warum #AuflebeninFN?
Friedrichshafen war schon immer ein bisschen langweilig, aufregende Clubs oder Partys gab es in dem Sinne nie, dafür fehlt hier vielleicht einfach die Klientel. Auch politisch ist sie nicht aktiv und es schlich sich neben der Langeweile allmählich die Politikverdrossenheit ein. Vor circa einem Jahr entschloss sie sich dazu gegen den inneren Schweinehund anzukämpfen und besuchte den Salon Rouge der SPD. Der Moderator fragte in die Runde, wie die Zuhörer zu einem Aufleben in der Stadt stehen. Das Timing hätte nicht besser sein können – viele wünschten sich mehr Nachtleben. Alissa nutzte die Chance: Statt einfach nur zuzustimmen, schilderte sie erste Ideen für ein Aufleben im Hafen. Der ganze Salon teilte ihre Sicht und für Alissa war klar, sie muss aufstehen und etwas tun!
Eine der ersten Anlaufstellen war der Leiter des Stadtmarketing, Herr Goldschmidt. Es wurde Ihr geraten das Stadt Forum aufzusuchen – ein Zusammenschluss der Einzelhändler, Handwerkern und Regionalunternehmern – auch wenn viele die Probleme genauso sahen, passte es nicht ganz. Einzelhändler interessieren sich nicht für das Nachtleben und das Stadtmarketing ist auch dazu da die Situation der Gastronomen zu verbessern. Doch es war klar, dass sich etwas ändern muss. Die Verlegung der Open-Air Konzerte aufgrund Klagedrohungen war die Geburtsstunde von #AuflebeninFN.
Als Alissa die Petition veröffentlichte hatte sie nicht mit einer so massiven Rückmeldung gerechnet. Auf Facebook ging die Geschichte viral und als auch der Südkurier über die Häflerin und den Wunsch nach Leben auf dem Friedhof berichtete schossen die Unterschriften durch die Decke.
Warum eine Petition?
„Jede Partei in Friedrichshafen hat die eine ‚Attraktivitätssteigerung‘ und eine Belebung Friedrichshafens in Ihrem Wahlprogramm … aber wirklich viel hat sich in den letzten 20 Jahren nicht getan.“ Die Petition soll das Bürgerbegehren endlich mal in Worte fassen. Jeder ist dazu eingeladen mit zu diskutieren! Wir müssen als Stadt herausfinden was wir wollen, als Gemeinschaft – es geht einfach nicht das zwei drei Klagedrohungen OpenAir Konzerte verhindern oder man versucht Kulturufer und Seehasenfest zu streichen. Hier müssen wir Flagge zeigen. Das Hauptziel der kommenden Monate ist konkrete Ideen und Forderungen auszuarbeiten und gemeinsam mit Gastronomen und der Stadt Kulturprojekte zu kreieren. Dabei ist einer der wichtigsten Partner der Gemeinderat – er muss die Rahmenbedingungen zur Umsetzung der Ideen optimieren.
Eine Herausforderung stellen jedoch die Anbieter selbst da – zwischen den Gastronomen gibt es leider immer wieder etwas streit und Lagebildung. „Das muss aufhören. Wir müssen uns gemeinsam organisieren, das belebt das Geschäft für alle – Konkurrenz ist hier fehl am Platz.“ Ihr Wunsch ist mittelfristig eine Interessensgemeinschaft zu etablieren.
Ihre größte Überraschung?
Retrospektiv hört sich das echt banal an, aber … „ich dachte es ist nur ‚unser‘ Problem. Menschen zwischen dreißig und vierzig – aber als ich die Petition startete war jeder dabei, von sechzehn bis weit über sechzig!“ Natürlich ist man von dem Ausmaß der Unterstützung begeistert, aber es zeigt auch, dass alle kulturell unterversorgt sind.
So what?
Egal ob Studie, Arbeiter oder Rentner – jeder ist hier irgendwie unzufrieden. Alissas Engagement geht weit über das hinaus, was man von Bürgern verlangen kann. Ihre Kernbotschaft ist: Wir sind hier, wir sind Teil dieser Stadt und wir werden sie aufwecken! Sie ist froh, dass die Kaserne bereits am aufleben ist – doch es ist noch ein weiter Weg. Die Petition ist dabei nur ein erster Schritt und alle, ganz besonders die Studierenden, sind herzlich eingeladen die Stadt, in der wir leben mitzugestalten.
Als ich entspannt durch die Spätsommernacht fahre und die Geisterstadt betrachte habe stelle ich mir die Zukunft vor – der Duft von Frischer Pizza, klirrende Gläser von Bier und Wein und helles Lachen schwingt mit Melodie durch die Nacht.