Nein heißt nein
Umfassend über das Thema consent reflektiert habe ich zum ersten Mal aufgrund einer Debatte – oder eher der Abwesenheit einer solchen – in einem Seminar, das ich im Herbst 2016 an der Zeppelin Universität besuchte. In dieser Veranstaltung erklärte der Dozent, dass die in jenem Jahr beschlossene Verschärfung des Sexualstrafrechts, bekannt als „Nein-heißt-Nein“-Modell, die juristische Unschuldsvermutung gefährde. Darüber kann man diskutieren. Außer mir und einer Mitstudentin hat dies jedoch niemand getan. Dafür mag es vielfältige Gründe geben und es erscheint mir nachvollziehbar, dass es nicht jedermanns Naturell entspricht, direkt in einem der ersten Kurse eines Bachelorstudiums einem Dozenten in Bezug auf eine komplexe rechtliche Fragestellung zu widersprechen. Trotzdem denke ich, dass darin auch die Tatsache hineinspielt, dass viele Jugendliche und junge Erwachsene nicht genug über consent wissen, um überhaupt zu fundierten Diskussionen in der Lage zu sein.
Consent, was auf Deutsch etwa soviel wie Zustimmung oder Einverständnis bedeutet, beschreibt die freiwillige, widerrufliche und aktive Zustimmung zu einer körperlichen Berührung oder sexuellen Handlung. Diese Zustimmung kann nur dann erfolgen, wenn die betroffene Person über alle für sie relevanten Informationen zu der Berührung oder Handlung verfügt. Außerdem verpflichtet das Einverständnis mit einer Handlung nicht zum Einverständnis mit einer anderen Handlung, welche häufig auf jene folgt. Oralverkehr verpflichtet beispielsweise nicht zu penetrativem Sex.
Fast forward dreieinhalb Jahre: Das Konzept consent ließ mich nicht los und ich entwickelte einen Verdacht, der sich bestätigen sollte. Am 23. Juli 2020 wendete ich mich, wie so oft, wenn ich eine Frage habe, an die Facebook-Gruppe der Studienstiftung des deutschen Volkes – ja, ich weiß. Diese erinnert an die Facebook-Gruppe der Zeppelin Universität, nur mit etwa sechsmal so vielen Mitgliedern. Dabei erfuhr ich, dass von den zwölf Personen, die meinen Post kommentierten, genau eine im universitären Kontext außerhalb einer Lehrveranstaltung mit dem Konzept consent konfrontiert worden war.
Consent-Workshops
Anders als in Deutschland scheinen Informationsveranstaltungen zu diesem Thema in Großbritannien zum Standardrepertoire einer jeden Universität zu gehören, die halbwegs etwas auf sich hält. Die ausführlichsten, im Internet frei verfügbaren Ressourcen zu consent stammen von der Studierendenunion der Universität Oxford. Deren Website bietet Leitfäden für die Durchführung von consent-Workshops für Bachelor- und Masterstudierende an, die detailliert auf alltagsnahe Situationen eingehen, in denen consent eine Rolle spielt. Betrachtet werden beispielsweise consent in Beziehungen, Situationen unter Alkoholeinfluss oder sexualisierte/freizügige Kennenlernspiele und Gruppenaktivitäten.
Nach vier Jahren Studium ist mir erfreulicherweise bewusst, dass es sich bei einer informellen Umfrage in den sozialen Medien nicht um eine wissenschaftliche Untersuchung handelt. Deshalb soll das hier auch ein Meinungsartikel und keine Hausarbeit sein. Das Ergebnis meiner Mini-Erhebung untermauert jedoch meine persönlichen Erfahrungen als Studentin an einer deutschen Universität, welche in vielerlei Hinsicht nicht der Norm entsprechen möchte, auf consent bezogen aber genauso mit Ignoranz glänzt wie ihre staatlichen Gegenstücke. Bis zum aktuellen Semester existierte weder eine verpflichtende Informationsveranstaltung für Erstsemesterstudierende noch ein allgemein zugänglicher Workshop, und es sollte nicht davon ausgegangen werden, dass es gelingt, diese Formate dauerhaft zu etablieren.
An meinen Ansichten zum Nein-heißt-Nein-Gesetz hat sich in den vergangenen acht Semestern nichts geändert. An der gesamtgesellschaftlichen Meinung zu feministischen Themen glücklicherweise schon. Mit #MeToo hat consent seinen Weg in den medialen Mainstream gefunden und Gespräche darüber, welche Verhaltensweisen im zwischenmenschlichen Miteinander angebracht sind, hielten Einzug in die Chefetagen und WG-Küchen der Republik. Bücher wie Alte weiße Männer von Sophie Passmann oder Untenrum frei von Margarete Stokowski dominieren die Spiegel-Bestsellerlisten. Obwohl oder gerade weil der Feminismus momentan Hochkonjunktur feiert, darf nicht vergessen werden, wie viel noch zu tun bleibt. Eine verbreitete Reaktion, die ich von meinen Mitmenschen erhalte, wenn ich betone, dass consent-Bildung an Universitäten wichtig ist, illustriert dies sehr passend. In Konversationen über consent und insbesondere darüber, ob Institutionen Verantwortung dafür tragen, was in ihrem Rahmen vonstatten geht, höre ich nicht selten die Frage, ob es bereits „Fälle“ gegeben habe. Das Wort „Fälle“ wird dabei stets ominös betont und ein bisschen geflüstert, ungefähr so, wie wenn eine Frau in einer geschlechtergemischten Gruppe eine andere Frau nach einem Tampon fragt. Über sexuelle Belästigung spricht man nicht. Über sexuelle Gewalt erst recht nicht.
Die Frage nach „Fällen“ zeigt auf zwei Ebenen, mit welchen Vorurteilen das Konzept consent selbst in einem aufgeklärten Umfeld behaftet ist. Um Studierende darauf vorzubereiten, wie sie in sexuell aufgeladenen Situationen respektvoll miteinander umgehen, sollte es keine „Fälle“ geben müssen. Darüber hinaus geht es bei consent auch nicht hauptsächlich um sexuelle Gewalt; diese stellt lediglich die extremste Form der Verletzung dar, die durch nicht erteilte Zustimmung verursacht werden kann. Die Idee consent nimmt erst einmal an, dass Menschen anderen Menschen generell nicht schaden möchten, dies aber aufgrund von Unwissenheit oder mangelnder Sensibilität trotzdem tun. Das passiert den allermeisten Personen im Laufe ihres Lebens – im Übrigen auch mir. Und noch wichtiger: Aufklärung kann dazu führen, dass es seltener passiert. Ein ungewollter Kuss ist keine Vergewaltigung, doch die Schwelle dafür, welches Verhalten wir als respektlos bewerten, sollten wir vermutlich etwas höher ansetzen.
Eine 2017 im Journal „The European Health Psychologist“ veröffentlichte Studie deutet darauf hin, dass Studierende nach der Teilnahme an einem consent-Workshop eher dazu geneigt sind, mit Partner*innen über consent zu sprechen und diese nach ihrer Zustimmung zu sexuellen Handlungen zu fragen. Die tatsächlichen langfristigen Auswirkungen solcher Seminare auf das Verhalten der Teilnehmenden müssen in jedem Fall besser erforscht werden. Obwohl das zitierte Experiment eine valide Argumentationsgrundlage für die Durchführung von consent-Workshops liefert, lässt es eine zentrale Komponente davon außer Acht, weshalb ich Aufklärung über consent für einen wertvollen Beitrag zum respektvollen Miteinander an Universitäten halte. Ich lerne nicht nur, wie ich anderen so begegne, dass sie sich in sexuell aufgeladenen Situationen wohlfühlen, sondern auch, dass ich meine eigenen Grenzen selbst bestimme und das Recht habe, mich Berührungen und Handlungen zu verweigern. Insbesondere für Frauen, von denen noch immer erwartet wird, zu allem Ja und Amen zu sagen, ist diese Art des empowerments extrem wichtig. Des Weiteren zeigen consent-Workshops Menschen, die bereits sexuelle Belästigung oder Gewalt erlebt haben, dass die Gesellschaft aus ihren Erfahrungen lernt und Instrumente zur Vorbeugung entwickelt.
ZU und consent
Warum tragen nun aber Universitäten wie die Zeppelin Universität dafür Verantwortung, dass Studierende an das Thema consent herangeführt werden? Als Sozialwissenschaftler*innen wissen wir, dass niemand von uns in einem gesellschaftlichen Vakuum vor sich hin vegetiert, sondern dass wir Formen entwickelt haben, in denen wir unser Zusammenleben organisieren – Staaten, Familien, Wohngemeinschaften, und eben auch Universitäten. Begegnen sich Studierende in Räumlichkeiten der Hochschule oder auf mit dieser in Verbindung stehenden Veranstaltungen, dann sind diese Begegnungen Teil des Mikrokosmos ZU. In Anbetracht dessen, dass der Schwerpunkt des Sexualkundeunterrichts an Schulen auf Biologie und Fortpflanzung liegt, halte ich es für illusorisch vorauszusetzen, dass Abiturient*innen diesen Mikrokosmos bereits mit ausreichendem Vorwissen über consent betreten. Nimmt die Zeppelin Universität consent nicht ernst, so nimmt sie billigend in Kauf, dass in ihrem Einflussbereich persönliche Grenzen überschritten werden und Studierende psychische Schäden erleiden. In einer sexistischen Gesellschaft muss eine Bildungseinrichtung anti-sexistisch sein, um ihrem eigenen Anspruch gerecht zu werden, Studierenden einen sicheren Raum zu bieten, in dem sie sich frei entfalten können. Aufklärung über consent kann dazu einen wesentlichen Beitrag leisten.
Veranstaltungshinweis
Gespräch mit Sookee: Sprache in der Popkultur
07. Oktober. 2020, 19:30 Uhr
Mehr Informationen findet Ihr hier.