Teil II: Samstag morgen, Fallenbrunnen ZU. Während andernorts die Universität gemieden wrd – es ist ja schließlich Wochenende – ist am FAB die Graduierungsfeier in vollem Gange. Ach ja, und ganz nebenbei zetteln einige Studierende gerade auf Twitter die Revolution der Arbeitswelt an – und rufen die 4-Tage-Woche aus. Was war passiert?
Kai Diekmann, Medienmogul und langjähriger Bild Chefredakteur, gab einen medienpraktischen Workshop. Wir haben uns mit dem gebürtigen Ravensburger getroffen und über das Rollenverständnis von Journalismus, die politische Ausrichtung von Bild und seinen Blick auf die Causa Bushido gesprochen.
Lukas: In Amerika kann man beobachten, dass sich einzelne Medien politischer positionieren – auch um ihre Leserschaft zu behalten. In Deutschland ist das ein bisschen objektiver – siehst du in den deutschen Medien einen Trend hin zur Amerikanisierung beziehungsweise hin zur Politisierung?
Da wäre ich mir nicht so sicher. Ich denke, dass ich die FAZ oder die Süddeutsche im gleichen Maße politisch verorten kann wie etwa die New York Times. Wenn ich ein liberaler Großbürger und Unternehmer bin, steht mir die FAZ im Zweifelsfall näher als wenn ich ein Lehrer aus Tübingen bin, der lieber einen Blick in die Süddeutsche wirft. Insofern sehe ich da keinen Unterschied zwischen Deutschland und Amerika. Ich finde es richtig, dass Zeitungen Haltungen haben. Haltung zu haben heißt aber nicht, langweilig oder erwartbar sein zu müssen. Es gibt viele Kommentare, die mich in der Süddeutschen überraschen – und es gibt auch Kommentare, die mich in der FAZ überraschen. So muss das sein.
David: Sollte Journalismus prinzipiell versuchen objektiv zu sein?
Was ist denn objektiv?
David: Objektiv nicht im Sinne einer objektiven Realität, aber…
Gibt es nicht! Es gibt keine objektive Realität. Ist es jetzt draußen kalt oder warm?
David: … intersubjektiv könnten wir uns wahrscheinlich darauf verständigen, dass es warm ist.
Angenommen, es ist Juli und ich habe gewisse Erwartungen an die Temperatur. Dann würde ich sagen: „Draußen ist es kalt“, oder? Objektivität gibt es nicht. Alles, jede Wahrnehmung ist relativ. Ich kann mich in bestimmten Zusammenhängen um eine Faktentreue bemühen und dafür Darstellungsformen finden. In der Nachricht, in der Beschreibung von Fakten muss Journalismus faktentreu sein. Der Journalismus an sich muss aber überhaupt nicht objektiv sein; er darf natürlich auch leidenschaftlich sein und eine bestimmte Perspektive einnehmen.
Wenn ich mir beispielsweise ein Magazin angucke, wie den Spiegel, der in seinen besten Zeiten von sich behauptet hat, er sei das „Sturmgeschütz der Demokratie“, dann war das doch nie ein objektiver Journalismus, sondern ein leidenschaftlicher „Gegen etwas“-Journalismus. Es gab aber auch leidenschaftliche Kampagnen „Für etwas“: Der Stern hat etwa Kampagnen für die Abschaffung des Paragrafen 218 und gegen die Aufrüstung gemacht. Das ist beides kein objektiver Journalismus, sondern da tritt eine journalistische Marke für etwas ein. Das halte ich für richtig. Den Satz von Hajo Friedrichs: „Ein guter Journalist macht sich mit keiner Sache gemein, auch nicht mit einer guten“, habe ich schon immer für grundfalsch gehalten.
Lukas: In deinen Interviews fällt auf, dass du der Frage, in welche Richtung du Bild politisch positioniert hast, immer ausgewichen bist. Warum ist es so wichtig, dass man sich als Chefredakteur von Bild in dieser Frage nicht klar positioniert?
Weil ich Bild nicht bewusst politisch irgendwohin geschoben habe. In meiner Zeit bei Bild war es mir immer wichtig, ein breites Themenspektrum abzubilden, um ein möglichst breites Publikum anzusprechen und nicht nur für sehr begrenzte Dinge zu kämpfen. Wir haben Bild für ein großes Publikum lesbar gemacht. Ich habe mich bemüht das Eine zu tun: Den Kern des Boulevards nicht zu berühren; aber das Andere eben auch nicht zu lassen und das Themenspektrum zu erweitern.
Über viele Jahre fand in Bild etwa Kulturberichterstattung nur dann statt, wenn auf irgendeiner Theaterbühne ein Schauspieler von einem herabfallenden Kronleuchter erschlagen wurde. Wir haben uns dem Thema zeitgenössische Kunst ernsthaft genähert, versucht sie zu erklären und haben selbst auch große Ausstellungen organisiert und diese anschließend großflächig begleitet. Das war eher das, was ich mit Bild wollte.
David: Wann war für dich klar, dass es auf das Onlineformat ankommt und dass das auch entscheidend für die Zukunft sein wird, damit Bild überhaupt überleben kann? War das von Anfang an klar?
Nein, überhaupt nicht. Also ganz im Ernst: Ich habe auch schon vor meiner Zeit im Silicon Valley gewusst, dass sich Dinge verändern. Ich bin aber erst im Silicon Valley zu der Überzeugung gelangt, dass es viel schneller und viel radikaler kommen wird, als wir uns das in unseren kühnsten Träumen ausmalen.
Lukas: Denkst du jeder sollte mal Zeit ins Silicon Valley gehen? Und wenn ja – wie lange?
Also ich halte überhaupt nichts von diesem „Zwei-Wochen-Tourismus“, weil ich den Eindruck habe, dass inzwischen viele der großen Silicon Valley Unternehmen regelrecht Besuchsabteilungen haben, wo bei Besichtigungen möglicherweise auch nur Google Darsteller sitzen und nicht Google Mitarbeiter (lacht).
Im Ernst: Natürlich, Reisen bildet immer, auch diese Kurzreisen bilden. Ob es noch das Silicon Valley sein muss, weiß ich gar nicht mehr. Vielleicht ist China inzwischen viel interessanter, vielleicht ist Tel-Aviv interessanter. Aber: sich mal in einer Gegend umzuschauen, die besonders innovativ ist, beziehungsweise für die großen Entwicklungen unserer Zeit zentral wichtig ist, das ist auf jeden Fall sinnvoll.
David: Wir sind letztens auf den Podcast von Bild über Bushido und die ganzen Clan-Verstrickungen gekommen. Wie bewertest du die Causa Bushido, insbesondere auch nach deiner persönlichen Vergangenheit mit ihm?
Das kann ich im Detail nicht beurteilen, aber ich kann so viel dazu sagen: Ich habe mich erst vor wenigen Wochen mit Bushido getroffen und wir haben uns lange dazu unterhalten. Über zwei Stunden.
Lukas: Warum hat es für dich – den wohl bekanntesten Journalisten Deutschlands – sechs Jahre gebraucht, ein Interview mit George W. Bush zu bekommen? Was war so schwierig?
Wahrscheinlich, weil das George W. Bush überhaupt nicht interessiert hat, welcher Journalist jetzt genau ein Interview mit ihm will (lacht); deutsche Zeitungen sind für ihn auch keine Priorität gewesen. Amerikanische Präsidenten sind grundsätzlich sehr zurückhaltend, wenn es darum geht, europäischen Medien Interviews zu geben – Bush war zudem nicht jemand, der laufend Interviews gegeben hat. Es war ein langer und steiniger Weg, aber am Ende hat es funktioniert.
David: Wie lief das mit Donald Trump?
Das war sehr, sehr easy. Das Interview mit Trump habe ich über einen Freund bekommen, der direkten Zugang zu ihm hat. Das Ganze verlief formlos – extrem formlos – und wurde nur über eine einzige SMS bestätigt. Keine Email, kein Brief. Wir haben sonst gar nichts bekommen.
Lukas: Denkst du, dass du nach diesem Wochenende noch einmal einen Workshop an der ZU geben wirst?
Das weiß ich nicht. Das hängt ja weniger von mir ab, als vielmehr von euch. Die Frage ist ja ob euch das auch Spaß gemacht hat und ihr das Gefühl hattet, etwas aus dem Workshop mitgenommen zu haben. Entscheidend ist auch, dass man sich dazu nochmal austauscht. Was sind Dinge, von denen man mehr hören möchte? Was sind Dinge, die weniger relevant sind? In meinen Augen könnte es aber schwierig sein, diesen einen Nenner zu finden, weil ich den Eindruck hatte, dass die Interessen der Kursteilnehmer sehr heterogen waren.
Kai Diekmann, vielen Dank für das Gespräch.