Teil I: Samstag morgen, Fallenbrunnen ZU. Während andernorts die Universität gemieden wrd – es ist ja schließlich Wochenende – ist am FAB die Graduierungsfeier in vollem Gange. Ach ja, und ganz nebenbei fachsimpeln unsere Studierenden per Live-Schalte mit Dieter Bohlen und dem Bachelor 2019 über Boris Beckers Liebesleben. Was war passiert?
Kai Diekmann, Medienmogul und langjähriger Bild Chefredakteur, gab einen medienpraktischen Workshop. Wir haben uns mit dem gebürtigen Ravensburger getroffen und über den Sinn eines Studiums, seinen eigenen Werdegang und die deutsche Fehlerkultur gesprochen.
Lukas: Wie kam es eigentlich dazu, dass du einen medienpraktischen Workshop an der ZU gegeben hast?
Ich bin von eurer Präsidentin angesprochen worden. Sie hat mich gefragt, ob ich nicht Lust hätte, einen Kurs an der ZU zu geben und ich habe mich erinnert, dass ich 2012 einmal zu einer Diskussion hier gewesen bin. Das hat mir damals sehr viel Spaß gemacht. Darüber hinaus bin ich der Meinung, dass es Sinn macht, Dinge aus der Praxis in die Lehre, in die Universität zu tragen – gerade wenn man wie ich Jahrzehnte in der Medienindustrie verbracht und dabei von dem Wissen seiner Vorgänger profitiert hat.
David: Mit welcher Erwartungshaltung bist du an die ZU gekommen und hat sich diese für dich bestätigt?
Ich bin ehrlicherweise mit keiner Erwartungshaltung gekommen; mein letzter Besuch drehte sich ja um was ganz anderes. Damals ging es um eine politische Diskussion im Zusammenhang mit der Berichterstattung von Bild über Christian Wulff; diesmal ging es um einen medienpraktischen Workshop. Bei mir kommt aber natürlich eine persönliche Sympathie dazu, weil ich Ravensburger bin. Ich kenne die Gegend ziemlich gut und bin hier heute Morgen auch schon 10 Kilometer gerannt. Das hat sehr viel Spaß gemacht und war unheimlich schön.
Für den Workshop war es uns (Philipp Jessen und Diekmann, Anm. d. Red.) wichtig, die Botschaft rüberzubringen, dass sich in der Medienwelt gerade etwas Grundlegendes verändert, ein Paradigmenwechsel stattfindet. Die Medien, über die wir gestern noch gesprochen haben, sind heute nicht mehr die relevanten. Vielmehr sind es die neuen Medien, die die Zukunft bestimmen werden. Diesen Wandel ein Stück weit rüberzubringen und deutlich zu machen, dass ich, der ich ja aus der alten Medienindustrie komme, an diese neuen Medien glaube und in einem zweiten Schritt den professionellen Einsatz der neuen Medien auch mal mit euch zu üben: Das war mein Anliegen.
Lukas: Im Prinzip hast du ja die klassische Start-up Karriere hingelegt. Erst der Abbruch des Studiums, dann die Selbstständigkeit. Zugegeben: mit 31 Jahren Verspätung, aber jetzt bist du voll durchgestartet. Welchen Wert misst du Bildung zu? Denkst du, es ist noch wichtig, ein abgeschlossenes Studium zu haben in einer digitalen Welt, wo man alles sehr schnell selbst machen kann?
Absolut! Ich bin nicht stolz drauf, dass ich nicht studiert habe. Es ist einfach mein Berufsweg gewesen, der dann an der Stelle dazu geführt hat, dass ich die Gelegenheit verpasst habe. Wann immer ich junge Leute bei mir habe, die ihr Studium abbrechen wollen, um sofort anzufangen, dränge ich darauf, dass sie dieses erst zu Ende machen.
Ich bin der Meinung, dass das Studium ein ganz wesentlicher Beitrag und ein wichtiger Baustein für die eigene Existenz ist. Heute vermisse ich mitunter auch mal die Zeit, in der ich mir eine bestimmte Lektüre unter anderen Umständen hätte gönnen können. Insofern bin ich von der Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit des Studiums zutiefst überzeugt, insbesondere in digitalen Zeiten, wo es ausschließlich um Ausbildung und Bildung geht.
David: Was rätst du uns Studierenden für unseren Werdegang?
Ich rate euch, die Semesterferien nicht nur an den Ufern des Bodensees und im Wasser zu verbringen, sondern so viel es geht praktische Erfahrung zu sammeln. Ich nenne das immer das Negativ-Ausleseverfahren. Also: Praktika zu machen und festzustellen, was die Dinge sind, die einem gefallen beziehungsweise nicht gefallen. Später kann man das nicht mehr.
Ich habe bei Bild so gut wie nie Leute ausgesucht, die ich nur der Papierform nach kannte. Mir war immer wichtig, dass die Bewerber uns persönlich bekannt waren, beziehungsweise schon bei uns als Praktikanten oder freie Mitarbeiter gearbeitet hatten.
Lukas: Was denkst du waren die Faktoren, die dir auf deinem beruflichen Weg geholfen haben: Welche Talente, welche Fähigkeiten, welche Eigenschaften?
Ich glaube vor allem, dass mir meine Leidenschaft für den Beruf geholfen hat. Ich habe mich bis zum letzten Tag immer darüber gewundert, dass mir relativ viel Geld dafür gezahlt wurde, dass ich das machen durfte, was ich unbedingt machen wollte. Ich glaube, man ist immer dann erfolgreich, wenn man Dinge nicht tun muss, sondern Dinge tun will. Ich wollte 31 Jahre lang genau das tun, was ich bei Axel Springer getan habe und ich glaube das macht erfolgreich.
Dazu kommt eine gewisse soziale Kompetenz, wenn man Führungsverantwortung übernimmt. Führung wahrzunehmen ist eine Herausforderung. Das ist nicht einfach, aber es ist entscheidend. Ich bin fest davon überzeugt, dass man die letzten zehn Prozent, die ein Team von anderen Teams in ihrem Erfolg unterscheiden, nicht dadurch bekommt, dass man den Leuten mehr Geld oder irgendwelche fiktive Positionen in der Hierarchie gibt. Die letzten zehn Prozent bekommt man, weil sie an dich, an die Führung glauben. Weil sie glauben, dass du eine Vision hast und weil sie dieser Vision folgen wollen. Deswegen ist Führungstalent etwas ganz Wichtiges.
Lukas: Aber du hast dich ja auf deinem Weg auch gegen viele andere Kandidaten durchgesetzt, die genauso eine Passion für diesen Beruf hatten. Was hast du besser gemacht als die Anderen?
Ich weiß nicht, ob ich mich gegen andere durchgesetzt habe. Ich habe Glück gehabt, zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen zu sein und die richtigen Förderer gehabt zu haben. Diese haben Potenzial in mir gesehen – was ich mir nicht erklären konnte – mich an entscheidenden Weggabelungen unterstützt und mir den richtigen Rat gegeben. Ich weiß noch, dass ich als junger Auszubildender wahnsinnig gerne in New York geblieben wäre, weil ich es dort großartig fand und auch eine Stelle beim Springer Auslandsdienst angeboten bekommen habe. Mein damaliger stellvertretender Chefredakteur sagte aber: „Du kommst zurück und gehst ins Korrespondentenbüro nach Bonn“, und er hatte natürlich Recht.
Lukas: Wer hat dich am meisten in deinem beruflichen Leben beeinflusst?
Die Menschen, die mich am meisten in meinem Leben beeinflusst haben, sind zuallererst meine Eltern. Darüber hinaus hat die Direktorin meiner Schule einen wesentlichen Anteil gehabt – ich bin bei den Ursulinen zur Schule gegangen. Danach sind es Vorgesetzte gewesen. Es ist jemand wie Claus Larass gewesen, der später auch Chefredakteur von Bild war und Vorstand bei Springer. Es ist ganz sicher Peter Boenisch gewesen, der sowas wie ein Mentor für mich gewesen ist. Es ist sicher auch Claus Jacobi gewesen; der langjährige Chefredakteur der Welt am Sonntag, der mich zurückgeholt hat, als ich in Mittelamerika war. Selbstverständlich ist es auch Mathias Döpfner gewesen, der mir irgendwann gesagt hat: „Du. Machst. Bild.“
David: Deine sonst so kontinuierliche Karriere hat 1997 eine Zäsur erfahren und du bist in den Auslandsdienst strafversetzt worden, kann man ja fast schon sagen…
Ja.
David: … daran angeschlossen die Frage: Welche Rolle misst du dem Faktor „Scheitern“ bei?
Der ist unbedingt wichtig! Das ist ja dieser „No-Brainer“, den wir aus dem Silicon Valley mitbringen – dort gibt es die andere Fehlerkultur. Scheitern gilt dort als implizite Voraussetzung für Erfolg. Wir behaupten immer, dass das bei uns auch so ist, aber hier ist das völlig anders. Hier gilt das Prinzip Schadenfreude.
David: Woran machst du das konkret fest?
Die Bereitschaft, Dinge auszuprobieren und damit vor die Wand zu fahren sowie die Leidenschaft, mit der das eigene Scheitern vorgetragen wird, ist dort anders als bei uns. Ich glaube, das hat auch was mit der anderen Unternehmermentalität in Amerika zu tun. Bei uns heißt es immer: „Probieren Sie doch mal was aus!“ Wenn jemand dann etwas ausprobiert und das schiefgeht, fallen alle über ihn her – aber sagen immer, wir hätten eine Fehlerkultur. Ich habe im Silicon Valley ein paar Erfahrungen gemacht, die mir in meinem späteren Berufsleben sehr geholfen haben.
Darüber hinaus finde ich meine eigene Scheiter-Erfahrung sehr wichtig: Zu erfahren, wie das ist, wenn man seinen Dienstwagen, seinen Hausausweis und sein Telefon abgeben muss, war für mich prägend. Danach habe ich nie wieder ein Diensttelefon gehabt, sondern immer mein eigenes, weil ich nie wieder in die Situation kommen wollte, dass ich irgendetwas abgeben muss.