Die Euromasters – vier Tage Jubelexzess bis zum Stimmverlust, Morning Raves auf einem sechs Meter hohen Baugerüst und Partys mit bunten Heliumballons, für die uns sogar Kinder beneideten. Wie jedes Jahr stellt sich die Frage: Was haben die Euromasters mit Spirit zu tun? Was haben die, die mitgefahren sind, da erlebt? Was bleibt von diesem Gemeinschaftsgefühl, das auf der vermutlich coolsten Klassenfahrt unserer Bildungslaufbahn zwischen den ZUbras entstanden ist? Ist doch eh jedes Mal das gleiche!? Nun, soviel vorab: dieses Mal ist alles ein wenig anders…
Die dünnen Jahre sind vorbei.
Es geht seit diesem Semester ein Ruck durch die Uni. Aufbruchsstimmung: wir dürfen und werden uns als Institution verändern und neu erfinden. Dazu gehört auch eine Entwicklung des Selbstverständnisses. Waren die letzten Kohorten noch mit den Vorurteilen der älteren Semester sozialisiert worden, dass früher alles besser war – nicht zuletzt die Qualität der Studienanfänger – blicken wir nun absehbar stabilen ökonomischen Verhältnissen an der Universität entgegen. Selbst, wenn wir im Dezember keine zusätzliche Finanzierung von der Stadt bekommen sollten – was aktuell nicht wahrscheinlich scheint – haben wir noch zwei Jahre Zeit, uns Alternativen zu überlegen. Ein Satz, den ich dieses Semester unbewusst häufig gesagt habe, fasst dies gut zusammen: „Wenn ich nochmal ein Studium an der ZU anfangen müsste, würde ich es am liebsten mit den aktuellen Erstis tun.“ Klartext: Die dünnen Jahre, das große Warten und Zittern, wie es weitergeht, ob Dinge umgesetzt werden können oder die eigene Fantasie am Ende wieder von der ökonomischen Realität eingeholt wird – sie sind vorbei. Der „Z“ – „U“ Schlachtruf auf der Weihnachtsfeier war selbstbewusst und druckvoll. Das habe ich so innerhalb der Uni noch nie erlebt. Wir haben wieder einen Grund nicht nur mutig, sondern auch gelassen in die Zukunft zu schauen. Und auch abseits des Euromaster-Spirit- Getöse tut sich vieles und das ist gut! Denn so wichtig es ist, öffentliche Zeichen zu setzen und Spirit nach außen zu tragen, umso wichtiger ist es auch das stille Engagement zu sehen, dass viele Tag für Tag in die Uni tragen und somit die Grundlage schaffen, auf der Gemeinschaft überhaupt erst entstehen kann. Auch das – gerade das – ist Spirit.
Wenn nicht mehr so viel Aufmerksamkeit auf dem Materiellen liegt, entsteht Raum für das Immaterielle dazwischen.
These: Der Spirit-Begriff hat in den letzten Jahren gelitten, weil die Mitglieder dieser Institution sich nicht darauf verlassen konnten, dass die Uni trotz aller Bemühungen am Ende nicht doch die Akkreditierung oder sogar große institutionelle Förderer verliert. Die Gerüchteküche brodelte; jeder wollte etwas anderes noch Schrecklicheres gehört haben, warum die Uni „jetzt aber wirklich!“ den Bach runtergeht. Bei so viel Unsicherheiten schafft sich der Einzelne Alternativen – das Versprechen des „zu|Hauses“ wurde nicht eingehalten, also schufen sich viele Nischen und bauten ihre eigenen Nester, um die schwere Zeit zu überwintern.
In Zukunft wird diese Selbstversicherung nicht mehr nötig sein, da das Grundversprechen der ZU erneuert wurde: Wir alle können davon ausgehen, in den nächsten fünf Jahren noch an einer Universität zu studieren und dabei auch Unterstützung für unsere Initiativen und Start-Ups von der Uni zu bekommen. Wir haben wieder mehr Zeit für und Lust auf die Gemeinschaft, weil wir wissen, dass sie uns tragen kann.
Anzeichen einer sich entwickelnden kollektiven Identität sind für mich nicht nur die Schlachtrufe, oder Unilieder, die aktuell auf der ein oder anderen (Haus-)Party bierselig angestimmt werden, sondern auch das Zubra Logo Update, das mir von den vielen verteilten Stickern entgegen prangt. Die HSS-Pullis gehen weg wie warme Semmeln, täglich entdecke ich dazu Kommilitonen, die stolz ihre bunten Euromasters Klamotten tragen. Aber das ist nur die oberflächliche, symbolische Spitze des Eisberges. Tatsächlich verschiebt sich auch gerade das Verständnis zum Wertekern des Spirits, der in meinen Augen häufig in der Debatte völlig unterschlagen wurde und den Begriff dadurch so hohl und nervig werden ließ. Für mich ist es etwa kein „Spirit“, dass ich meine Sachen unbeaufsichtigt liegen lassen kann. Das ist eine Folge des Spirits, sicher. Aber nicht der Spirit an sich.
Was ist der Spirit?
Der Spirit ist für mich Vertrauen, Zugewandtheit, sich inspirieren lassen, konstruktiver Respekt, permanente Aufbruchstimmung und das Wissen, aufgehoben zu sein in einer Gemeinschaft, der es an querdenkenden Charakterköpfen nicht mangelt – und gerade deswegen so liebenswert ist. Damit könnten und sollten wir an unserer Universität Schule machen.
Das Beste aus kollektivem Kollektivismus und individueller Identität
In unserer flüchtigen, digitalisierten Gegenwart ist der einzige Garant für Zukunftsfähigkeit von Staaten und Organisationen ihre Innovationskraft. Innovation entsteht durch Diversität. Diversität im Denken kann wiederum nur dann entstehen, wenn dafür eine Vertrauensbasis geschaffen ist und sich der/die Einzelne geborgen und aufgehoben in seinem/ihrem Kreis fühlt und weiß, dass seine/ihre Ideen, so abstrus sie auch sein mögen, erst einmal ernst genommen und evaluiert werden. So erleben wir in unserer Gegenwart die Chance, das Beste aus beiden Welten zusammenzuführen: einen kreativen Individualismus, der sich in eine tolerante Gemeinschaft eingebunden fühlt und die angebotene identitätsstiftende Komponente zur Kenntnis nimmt – sich aber nicht zu eigen machen muss. Den Abstand zum Kollektiv bestimmt das Individuum mit Blick auf sein Wachstum dabei selbst – das Kollektiv umarmt, aber erdrückt nicht. Überlegen wir uns doch also zeitnah, was es für unsere Zukunft sein soll. Wollen wir an der ZU den beschriebenen best-case miteinander üben, oder eine Entwicklung hin zum worst-case tolerieren: das übersteigerte ego-manische Selfie-Individuum und die zur totalen Autorität verkommende Gemeinschaft, die die soziale Sphäre überwacht, gleichschaltet und Abweichungen vom Mainstream sanktioniert.
Ein neuer Weg. Nicht besser. Nicht schlechter. Einfach. Anders.
Die Erstis leben es vor: Geld geklaut? Wir legen zusammen! Mobbing? Wir stehen zusammen! Übergriffe? Wir halten zusammen – so etwas tolerieren wir nicht! Und warum? Aus einem Selbstverständnis heraus, dass man sich hier gegenseitig die schönste Zeit ermöglichen will und deswegen aufeinander aufpasst. Lasst mich diese Reihe für die Zukunft erweitern: Warum muss man, wenn man die Schwarmintelligenz um Hilfe bittet, dafür auch immer sofort eine Gegenleistung in Petto haben? Der berüchtigte Kaffee und die unsäglich leere „ewige Dankbarkeit“ haben in einer Bitte um Hilfe nichts verloren, weil sie dadurch die Entlohnung in den Vordergrund stellen und nicht die Geste. Der Leser vergleicht in der Facebook-Gruppe das Preisschild für seine gute Tat. Das ist Quatsch und befeuert das Verständnis von sozialen Verbindungen als Transaktionen – mit z.T. entsprechenden Kosten. Dankbarkeit und Verbundenheit entstehen durch zwischenmenschliche Wertschätzung. Das wird ein Kaffee niemals abbilden können. Jemanden ungefragt zu einem Kaffee einladen und sich Zeit füreinander zu nehmen wiederum schon.
Sich begegnen. Nur, auf welcher Ebene?
Der Philosoph Rudolf zur Lippe beschrieb ein gelingendes Miteinander einmal als das „freundliche Angebot sich gemeinsam miteinander lächerlich zu machen“. Nichts anderes sind die Euromasters. Untereinander herrscht Internatsatmosphäre; am Ende des Tages hat keiner mehr die Energie, das Bild, das er/sie von sich nach außen projizieren will, aufrecht zu erhalten, kommt zu sich selbst und man lacht gemeinsam. Das schafft Raum für sympathische Begegnungen. Deswegen fahren ich und einige Andere jedes Jahr wieder mit zu den Euromasters. Man lernt seine Kommilitonen einfach anders kennen und schätzen. Ja, das Event an sich mag aufgesetzt und sein vorgeschobener Zweck redundant sein – das hat Bertelsmann dieses Jahr zur Genüge bewiesen – und ja, die EBS Cheerleader bezeichnen sich selbst als #bumsbar. Aber um die geht es nicht. Es geht ums uns. Die Gemeinschaft und die Atmosphäre, die wir in unserem gemeinsamen Abenteuer schaffen, sind kostbar, besonders und besonders kostbar. Das strahlt ab: egal mit welcher anderen Uni man spricht – spätestens nach dem dritten Bier geben auch die Jungs von der Frankfurt School zu, dass wir in unseren rosa Klamotten vielleicht ein wenig metrosexuell aussehen, im Grunde aber schon ganz schön cool sind.
Wieder am See gelandet – was nun?
Ich denke jeder von uns kennt dieses kleine Loch nach Ferienfreizeiten und Ausflügen, wo man noch nicht so richtig versteht, was genau passiert ist und sich fragt, wie der Alltag jetzt ohne die anderen weitergehen soll. Einige sind vielleicht auch ein wenig vom „Spirit“ enttäuscht. Eine Enttäuschung setzt aber immer zuerst eine Täuschung und damit etwas Aufgesetztes voraus. Setzen wir unsere Spirit-Masken ab. Sorgen wir wieder dafür, dass es um was geht. Machen wir uns gemeinsam miteinander lächerlich und schaffen uns so unseren eigenen Raum, in dem alles erlaubt und jede/r willkommen ist. Gestalten wir ZU|kunft. So, jetzt seid ihr dran! Was bedeutet Spirit für euch?