Hier bei Futur Drei erschien heute der Kommentar von Yannik Schneider zum Thema Martin Schulz und den gegen den Kanzlerkandidaten erhobenen Vorwurf des Populismus. Um mein Urteil gleich vorweg zu nehmen: Ja, ich denke, dass Martin Schulz ein Populist ist. Und ebenfalls ja, ich finde das unglaublich ätzend
Richtig ist in jedem Fall, dass der Begriff des Populismus inzwischen ein ebenso gern genutzter Kampfbegriff ist, wie der des Neoliberalismus. Billig ist es, diese Tatsache als rhetorische Finte zu nutzen um den Populismusvorwurf gegenüber Martin Schulz zu entkräften.
Wenden wir uns dem Rest der Argumentation zu. Yannik behauptet in seinem Text, dass Schulz ein wesentliches Attribut eines Populisten fehlen würde, da er nicht mit dem Gegensatz zwischen „Eliten“ und „dem einfachen Volk“ arbeiten würde. Dieses Argument ist aus zweierlei Gründen problematisch. Erstens ist die herangezogene Definition des Populismusbegriffs zu eindimensional. Ich könnte hier jetzt eine ellenlange Abhandlung über den Begriff abhalten, doch das ist nicht notwendig, da zweitens Schulz eben doch mit der Dichotomie zwischen „Elite“ und dem Rest der Bevölkerung arbeitet und daraus seinen Nutzen zieht. Bei Schulz sind es eben nur nicht das „Altparteienkartell“ gegen das deutsche Volk, sondern Arbeitnehmer die gegen Arbeitgeber ausgespielt werden. Der von seinen Anhängern zum Gottkanzler in spe Ernannte (hat irgendwie was vom gottgewollten Führer Adolf Hitler, aber jeder hat eben andere Ikonen), hält rührselige, demütige Reden über die Fehler der Agenda 2010, gelobt Besserung und macht in bester GroKo-Manier vollmundige Wahlversprechen. Sein Geschwätz von gestern interessiert in nicht. 2014 attestierte er der Agenda 2010 noch, dass sich darauf die gute wirtschaftliche Lage begründet.
Es ist eben das, was Populisten tun. Sie reden dem Volk nach dem Mund. Da stört es dann auch nicht, dass Schulz sich Sozialstatistiken zurechtlügt. Kostprobe gefällig? Schulz behauptet in einer Rede, dass der Anteil der befristeten Arbeitsverhältnisse in der mittleren Altersgruppe bei 40 Prozent liege und das dies eine himmelschreiende Ungerechtigkeit sei. Richtig ist aber, dass der Anteil lediglich bei 17,9 Prozent liegt. In anderen Altersgruppen liegt die Befristungsquote sogar weit darunter, sodass der Gesamtschnitt selbst weit unter den fabulierten 40 Prozent liegen. Auch diese Aussage in einem Interview, das er bei einem Unternehmensbesuch in Brandenburg gab, lässt tief blicken. „Wenn man feststellt, dass Gesetze anfangen Ungerechtigkeiten (sic!) zu produzieren, dann sollte man das korrigieren. Ich will das nochmal sagen. Ich lese natürlich auch die Kommentierungen, aber dass jemand sagt weil wir einen 58 Jährigen, der nach 40 Berufsjahren nach Hartz 4 fällt, nicht nach Hartz 4 fallen lassen wollen, dass sei eine Einschränkung der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands, dem würde ich empfehlen nochmal nachzudenken.“ Schulz zeigt hier, was für ein Deutschland er sich vorstellt. Einen den Bürger voll umsorgenden Nanny-Staat, in dem die Allgemeinheit für jedes Einzelschicksal in Regress genommen werden soll.
Er nutzt eben doch, entgegen der Darstellung im ersten heutigen Artikel, die Ängste eines Teils der Bevölkerung für seine politischen Zwecke aus. Dass in diese Altersgruppe der größte wahlberechtigte Bevölkerungsanteil fällt, dürfte Martin Schulz dabei sehr gefallen.
Natürlich ist es eine missliche Lage für ältere Arbeitnehmer, die ihren Job verlieren. Die Lösung ist an dieser Stelle aber nicht, deren Bezüge des ALG I um sinnlose drei Monate zu verlängern, sondern dafür zu sorgen, dass diese Person schnell wieder Arbeit findet. Aber dem SPD-Wähler gefällt’s, dann muss das schon richtig sein. Geht ja schließlich um Emotionen und die sind Yannik zufolge ja besonders wichtig für erfolgreiche Politik und Bürgernähe. Dass vor allem nachfolgende Generationen für diese Wahlgeschenke bluten dürfen, geschenkt.
Das ist nur eine von mehreren „einfachen Lösungen“, die Martin Schulz in seinem bisherigen Wahlkampf propagiert hat. Das Beispiel sollte aber verdeutlicht haben, wieso Schulz eben doch ein Populist ist.
Auf einen letzten Punkt möchte ich hier gern noch eingehen. Yannik sieht es als notwendig an, die Bürger mit seiner Politik mitzureißen, dass das Ansprechen der Emotionen der Wählerschaft eine Notwendigkeit nach 12 Jahren Merkel sei. Das hört sich ein wenig nach Marc Jongens „Wir brauchen mehr Thymos in der Bevölkerung“ an. Die Aufgabe von Politikern in demokratischen Staaten ist nicht, das Volk mitzureißen. Wir hatten in Deutschland wahrlich schon genug mitreißende Politiker die dieses Land in großes Unheil gestürzt haben. Was ist, wenn die Bürger sich von sozialpolitischen Heilsversprechen irgendwann nicht mehr mitreißen lassen? Was wenn auf einmal ein Björn Höcke einen Großteil der Deutschen mitreißt? Ist die Ausnutzung von Emotionen dann immer noch ein notwendiges Mittel für erfolgreiche Politik? Oder ist es mal wieder so, dass Methoden die, wenn sie von rechts kommen verwerflich sind, bei Linken auf einmal toleriert werden. Wir sollten hier nicht mit zweierlei Maß messen.
Die Aufgabe von Politikern ist es, verantwortungsbewusst und im Sinne der Bevölkerung zu handeln. Bei Herrn Schulz bin ich mir momentan nicht sicher, ob er dazu wirklich in der Lage ist.
“Dass vor allem nachfolgende Generationen für diese Wahlgeschenke bluten dürfen, geschenkt.“
Diese Aussage halte ich für ziehmlich undifferenziert. Ich kann mir beispielsweise nicht vorstellen, inwiefern unsere Generation für eine “Ehe für alle“ bluten müsste.
Ansonsten schließe ich mich Manuel an. Wer über dies Hitler Vergleiche ausgerechnet bei dem Mann anbringt, der sich so stark wie kaum ein anderer gegen Rechts stellt, zeigt nur den Grad an Verzweiflung bzw. den Mangel an Argumenten.
Lieber Max,
es ist wirklich erfrischend, dass hier bei futurdrei ein so dynamisches Diskussionsklima herrscht. Deswegen möchte ich auch auf deinen Beitrag antworten. Den unkundigen Lesern sollte dabei vorab gesagt sein, dass ich dabei, wie Max auch, “parteiisch” wirken werde und das nicht wirklich zu Unrecht, wie zum Schluss auch nochmal ganz klar wird.
Meiner Meinung nach, bist du mindestens so inkonsistent, wie du es Yannik vorwirfst. Lassen wir mal den Hitler-Vergleich (Come on. Srsly?) im ersten großen Absatz beiseite und schauen uns deine wirklich substanzielle Kritik an.
1) “Die Agenda 2010 aufzugreifen ist dem Volk nach dem Mund geredet.”
Über die Agenda 2010 ist viel zu sagen, also will ich mich auf zwei Dinge beschränken: a) sie ist fern von perfekt und b) sie ist vor allem ein kommunikatives Debakel für die SPD (und zwar vornehmlich für die SPD). Beginnen wir bei a): Die Kritik an der Aganda 2010 ist so alt wie sie selbst. Sie hat sogar zu nicht weniger als einer “neuen” Partei im Bundestag geführt (siehe W.A.S.G.). Gesellschaftlich und parteiintern ist das Thema der Sozialreform nie zum Stillstand gekommen und das auch zu Recht (Vorab für b) Leider war die Diskussion auch nur selten produktiv). Dass die SPD nun die Agenda-Kritiker für sich entdeckt hätte würde verneinen, dass die SPD selbst die Agenda-Kritiker in den eigenen Reihen stehen hat. Und das seit über 10 Jahren. Weil diese nun endlich ein Sprachrohr bekommen, ist einerseits eine neue Dynamik, die mit der Situation zu tun hat, dass ein “nicht-GroKo Vertreter” nun Kandidat wurde und andererseits auch eine kommunikativer Strategie, die man der SPD kaum vorwerfen kann. Denn gleich zu b): Seien wir mal nicht naiv. Die Agenda 2010 ist ein kommunikatives Debakel. Sie gilt für viele als der Velrust des sozialen Gewissens der SPD, sei es durch berechtigte Anmerkungen oder ohne jegliches Wissen über die Inhalte der damaligen Reformen. So oder so: Es vergeht wohl kein Tag im Jahr und vor allem keine einzige Nachricht, an dem oder zu der sich die SPD das nicht vorwerfen lassen darf. Nicht ganz ignorant diesem Umstand gegenüber, waren auch andere Parteien immer froh darüber, dass sich die SPD die Reform ans Revers heften musste und nicht sie selbst. Dass die SPD nun dagegen angeht, indem sie Kritikern Aktion entgegenhält, mag manchem die Schadenfreude vermiesen, muss aber kaum von der Partei selbst entschuldigt werden, wenn sie damit durchaus ihrer eigenen solidarischen Kernlinie treu bleibt. Die darf man inhaltlich kritisieren, kann sie aber wohl kaum zum Vorwurf für ihr verhalten machen.
2) “Schulz redet die soziale Lage in Deutschland schlecht.”
Ja, dein Beispiel ist nicht zu widerlegen: Schulz hat hier eine falsche Zahl genannt. Da kann man nichts bestreiten und das sollte nicht vorkommen. Den Vorwurf, man rede damit die gesamte soziale Lage schlecht, sehe ich aber nicht vollends bestätigt. Diese eine Zahl macht Deutschland nicht rhetorisch zum Entwicklungsland. Dass es in unserer Gesellschaft aber dennoch Menschen gibt, denen es strukturell schlechter geht als anderen, ist ein Thema, dass im politischen Diskurs in letzter Zeit viel zu selten zur Sprache kam oder wenn, dann nur als “zu viele Flüchtlinge”-Argument. Das muss sich endlich ändern. Ruft deshalb Schulz zum marxistischen Klassenkampf auf? Nein. Denn Solidarität ist kein Nullsummenspiel, sondern im Idealfall eine Win-Win-Situation. Wer behauptet eine Stärkung der Arbeitnehmerrechte wäre Anti-Arbeitgeber, der stellt sich nicht differenzierter dar, als der, der das rhetorische Gegenteil behauptet.
3) “Schulz ist Populist, weil er für einen mit Einzelschicksalen beschäftigten Nanny-Staat einsteht.”
Mal ganz davon abgesehen, dass das Gewicht eines Einzelschicksals natürlich immer zur Debatte steht (vor allem dann, wenn man nicht betroffen davon ist), ist das ein Nanny-Staat kein Populismus, sondern eine politische Meinung. Wenn die Sozialleistungen für den einen ein Wahlkampfgeschenk auf Kosten der nächsten Generation darstellt, dann stellt dies für einen anderen eine versprochene Steuererleichterung dar. Und an diesem Punkt muss ich ja eher grinsen: Da haben wir doch endlich mal wieder Punkt gefunden, über den wir streiten können! Und zwar so richtig auf Basis unserer Grundprinzipien. Wenn wir dabei nicht auf persönliche und unterirdische Niveaus herabsinken, hat ein streitender Diskurs durchaus produktives Potential.
Nun will ich aber abschließend mir aber wirklich noch meine roten Socken anziehen, reflektiert Stellung aus linker Perspektive ziehen und dabei auf noch offene Punkte eingehen:
Der Höhenflug der SPD ist überraschend und Schulz trägt daran einen guten Anteil. Doch ist er verwerflich? Sollte eine Partei sich nicht lieber gelähmt seinen Kritikern fügen, sich auf eine Eisscholle setzen und fatalistisch ihrem Untergang entgegensehen? Ja, ne. Is klar…
Nein. Die SPD darf und soll sich endlich mal wehren. Sie hat es lange genug nicht getan. Statt vor dem kritischen Diskurs der Agenda-Reformen wegzulaufen, sollten wir uns ihm endlich auch öffentlich stellen. Der GroKo wird nur Einheitsbrei vorgeworfen. Gut, dann zeigen wir endlich, dass wir es auch anders können. Am besten mit jemandem, der nicht Teil dieser Koalitionsregierung war. Zum Diskurs, und da danke ich dir für deine vorwerfenden Worte, die uns unbedingt als Mahnung gelten soll, gehört unweigerlich die Gänze der Gesellschaft. Und zwar kompromisslos.
Die “Linken” haben sich gerade in letzter Zeit oft als lautstarke Kritiker hervorgetan. An “unseren” Vorwürfen (Alles nur Emotion ohne Inhalt) müssen wir uns jetzt auch messen lassen (Emotion ist nicht verwerflich, aber nur wenn auch Inhalt da ist). Das darfst du gerne tun und wir sollten jede Stimme, inner- wie außerparteilich da wirklich ernst nehmen. Ich denke wir werden, allein schon aus zeitlichen Gründen, noch viel mit dieser Debatte zu tun haben.
Abschließend gehört zur Person Martin Schulz gesagt, dass die Gesamtsituation nunmal gerade nahezu perfekt ist. Er hat Zeit, Erfahrung, rhetorisches Können und ist kein Mitglied der aktuellen Regierung. Diese Vorteile als Partei und Kanzlerkandidat nicht auszuspielen wäre naiv, falsche Verlegenheit und schlichtweg taktisch dumm. Dies alles sind Zuschreibungen die sich die SPD (nicht immer zu Unrecht) lange genug anhören durfte. Diesem Zustand wurde endlich etwas entgegen gesetzt. Und zwar mit gutem Recht: Einem Spieler kann man nicht vorwerfen seine Trümpfe nicht zu nutzen.
Was immer dieses Jahr politisch geschieht, muss sich an harter Kritik messen lassen. Und genau dazu sind politische Gegner auch da. Für das Niveau, auf dem sich die Debatte dann bewegt, sind wir alle gemeinsam mitverantwortlich. Aber ein “Pro und Kontra: Sozialstaat” oder eine Debatte des Umfanges dieses fällt für mich nicht unter Populismus, sondern um eine Grundsatzfrage, die immer wieder auf ein Neues beantwortet werden muss.
Deshalb abschließend: Nein, Schulz ist kein Populist. Er ist nur anderer Meinung als du. Und das ist auch gut so. Vielleicht sogar gesund für uns und unsere Demokratie.
Auf ein spannendes Wahljahr und viele Grüße.
Manuel Neumann