Würde unsere Universität in Schubladen eingeteilt, so müsste ich wohl in der Schublade „neoliberal“ landen. Ich bin für eine weitestgehend freie Marktwirtschaft und für eine weitestgehend souveräne Stellung des Individuums gegenüber der restlichen Gesellschaft und vor allem dem Instrument der Gesellschaft, das Individuum in seiner Freiheit einzuschränken, dem Staat.
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Der Begriff des Neoliberalismus genießt in der öffentlichen Debatte kein hohes Ansehen. Besonders von eher auf der linken Seite des politischen Spektrums angesiedelten Gruppen wird von ihnen abgelehnte Politik häufig als „neoliberal“ gebrandmarkt. Diese Einordnung ist faktisch meist falsch. Der einigen Studenten wahrscheinlich bekannte Professor Karsten Fischer bescheinigte Präfix „Neo-“ einmal, eine politische Denunziationsformel zu sein.
Ein großer Teil der Gesellschaft versteht, vielleicht aus oben genanntem Grund, unter dem Neoliberalismus eine extreme Form des klassischen Liberalismus. Das ist objektiv nicht korrekt. Der Neoliberalismus geht auf die Freiburger Schule der Nationalökonomie um Walter Eucken, Franz Böhm, Leonhard Miksch und Hans Großmann-Doerth zurück, die in der Nachkriegszeit nach einer Wirtschaftsform für die neu geschaffene Bundesrepublik suchte.
Grundlage ihrer Überlegungen war die klassische Nationalökonomie Adam Smiths. Die Freiburger Schule war allerdings auch geprägt von den negativen Erfahrungen mit dem laissez-faire Kapitalismus der goldenen zwanziger Jahre, dessen Zusammenbruch maßgeblich zum Aufstieg der NSDAP beitrug, sowie dem willkürlichen Staatsinterventionismus des NS-Regimes.
Der laissez-faire Kapitalismus, der der Philosophie des klassischen Liberalismus nachempfunden war, hat mit dem Neoliberalismus – die Freiburger Schule nutzte häufiger den Begriff des Ordoliberalismus – nur noch bedingt etwas zu tun. Der Unterschied ist in der Rolle des Staates zu suchen. Während im klassischen Liberalismus der Staat, ganz im Sinne Adam Smiths, lediglich eine Nachtwächterfunktion wahrnimmt, das heißt sich auf den Schutz der Freiheit, der Sicherheit und des Eigentums seiner Bürger beschränkt, nimmt der Staat im Neoliberalismus eine viel aktivere Rolle ein.
Der Neoliberalismus der Freiburger Schule postuliert eine Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, in der der Staat auf demokratische Art und Weise einen durch die Politik zu gestaltenden Handlungsrahmen setzt. Ziel dabei ist es, durch den Staat die Wettbewerbsbedingungen auf dem Markt zu setzen, so dass sich die Kraft der Marktwirtschaft unter demokratischer Kontrolle entfalten kann. Kernpunkte eines erfolgreichen Wirtschaftsrahmens im Sinne Walter Euckens sind dabei grundsätzlich die Eigenschaften eines freien Marktes. Das heißt freier Zugang zu Märkten, Privateigentum an Produktionsmitteln, Vertragsfreiheit und das Haftungsprinzip. Der Neoliberalismus akzeptiert also erst einmal dieselben Grundsätze wie auch der klassische Liberalismus. Er ist sich allerdings auch dessen Unzulänglichkeiten bewusst: Die oben genannten Grundsätze reichen nicht aus, um marktwirtschaftliche Wettbewerbsordnung dauerhaft funktionsfähig zu halten. Aus diesem Grund nimmt der Ordoliberalismus der Freiburger Schule weitere Aspekte auf, die der Staat in der wirtschaftspolitischen Rahmensetzung beachten muss. Namentlich sind dies der Sozialstaat, der Umweltschutz, die Regulierung der Arbeitsmärkte und die Einkommensverteilung.
Der Begriff des Neoliberalismus sollte dem Leser nun etwas klarer sein. Wenn Kritiker behaupten, dass unser heutiges Wirtschaftssystem neoliberal sei, dann haben sie damit durchaus Recht. Nur verstehen sie dabei häufig nicht, dass den Neoliberalismus genau das ausmacht, was sie kritisieren: Die Berücksichtigung sozialer und ökologischer Fragen. Ich hoffe damit mit dem ein oder anderen Vorurteil aufgeräumt zu haben.
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Was finde ich an diesem Konzept nun so vorteilhaft?
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Der Neoliberalismus stellt einen Mittelweg zwischen zwei Extremen dar. Auf der einen Seite der freie Markt, der für die effizienteste, aber nicht unbedingt gesellschaftlich gewollte Verteilung von Kapital sorgt und auf der anderen Seite der sozialistische Staat, der die Grundsätze der Marktwirtschaft negiert. Besonders gegen den Letzteren habe ich eine große Abneigung.
Sozialistische Staaten, wie in der Vergangenheit die Sowjetunion oder die DDR, betreiben in der Regel eine Zentralverwaltungswirtschaft, im Volksmund „Planwirtschaft“ genannt. Essenziell für dieses Wirtschaftssystem ist die staatliche Kontrolle sämtlicher Produktionsmittel. Die Machthaber sozialistischer Staaten unterstellen also ganz einfach, sie würden alle Bedürfnisse der Bevölkerung kennen und nehmen in der Folge jedem Einzelnen sämtliche wirtschaftlichen Entscheidungen ab. Dass „die Partei“ nicht immer Recht hat kommt dabei niemandem in den Sinn. Mangelwirtschaft war und ist in sozialistischen Staaten, man sah es in der Vergangenheit in der DDR und sieht es heute wieder in Venezuela, eher die Regel als die Ausnahme. Das ist aber nicht, was mich an Zentralverwaltungswirtschaften am meisten stört.
Der schlimmste Aspekt einer sozialistischen Planwirtschaft ist dessen Totalität. Ich kann jedem zu diesem Punkt nur F.A. Hayeks Werk „A Way To Serfdom“ ans Herz legen. Die staatliche Kontrolle aller Produktionsmittel beraubt den Bürger seiner wirtschaftlichen und politischen Freiheit. Denn wird zentral ein Plan gefasst, müssen die Bürger diesen zwangsweise akzeptieren. Für Dissidenten ist dabei kein Platz.
Aber auch der laissez -faire Kapitalismus ist ein gefährliches Wirtschaftssystem. Stichworte an dieser Stelle sind die Marktmacht und das Marktversagen. Ist beispielsweise ein Unternehmen derart erfolgreich, dass es weite Teile oder sogar den ganzen Markt kontrolliert, hat es einen hohen Grad an Macht gegenüber Verbrauchern und Arbeitnehmern. Dies bedeutet im Grundsatz erst einmal weniger Freiheit, insbesondere, wenn ich sich nicht um Luxusgüter, sondern zum Beispiel um Lebensmittel handelt. Gleichzeitig konnte im Jahr 2007 beobachtet werden, wie mangelnde Regulierung der Finanzmärkte zu einer fatalen Wirtschaftskrise geführt hat, deren Nachwirkungen gerade in Südeuropa noch deutlich zu spüren sind. Natürlich wäre es vermessen „den bösen Ami“ für das Leid der Südeuropäer und die Eurokrise verantwortlich zu machen. Diese haben selbst durch verfehlte Haushaltspolitik großen Anteil an ihrer misslichen Lage.
Der Knackpunkt ist, dass eine gute Regulierung, wie der Neoliberalismus sie fordert, dieses offensichtliche Marktversagen und damit diese Krisen wohlmöglich hätte verhindern können. Die Staaten sind lediglich in großer Zahl ihren Verpflichtungen diesbezüglich nicht nachgekommen.
Der Mittelweg des Neoliberalismus sichert all das, was mir selbst lieb und teuer ist. Die wirtschaftliche und politische Freiheit der Bürger wird garantiert. Freiheit, Eigentum und Sicherheit sind zumindest in Deutschland verfassungsmäßig verbriefte Rechte. Gleichzeitig bekommt die Gesellschaft über den Staat als ihr Instrument die Möglichkeit, sich selbst einen Ordnungsrahmen zu setzen, in dem sich die Individuen anschließend frei bewegen können. Dabei sind die konstituierenden Grundsätze der Marktwirtschaft als Grundrechte in die Verfassung integriert. Es ist also bis zu einem bestimmten Punkt die demokratische Ausgestaltung des Ordnungsrahmens möglich. Ihre Grenzen erreicht die Handlungsmacht des Staates aber ebenso in der Verfassung. Es ist für beides gesorgt: Gesellschaftliche Mitbestimmung in wirtschaftlichen Fragen und gleichzeitig Schutz des Individuums und seiner politischen, sowie grundsätzlichen wirtschaftlichen Freiheit vor der Gesellschaft und ihrem Machtinstrument, dem Staat.
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Wertend könnte ich sagen: „Der Neoliberalismus ist die gezähmte Form des klassischen Liberalismus“. Er ist also genau das Gegenteil von dem, was seine Kritiker im unterstellen. Ich bin überzeugt davon, dass der Mittelweg, den die Freiburger Schule in den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts in Zusammenarbeit mit Ludwig Erhardt gegangen ist, für die heutige Prosperität der Bundesrepublik maßgeblich mitverantwortlich ist. Genau aus diesem Grunde bin ich neoliberal.
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Finde es gut darauf hinzuweisen, dass der Begriff Neoliberalismus eben nicht aus den 20-30 Jahrzenten kommt, sondern eng mit dem Ordoliberlismus und der Freiburger Schule verwoben ist. Wenn ein Begriff aber so stark in seiner Bedeutung schwankt wie der Neoliberalismus über die letzten 80 Jahre, sollte man versuchen ihn hinter sich zu lassen und neue Begriffe zu verwenden.
Es gibt eine gute Sammlung von einigen nur ein paar Seiten langen Essays dazu:
“Ordnungstheorie–Ordnungspolitik: Was ist Neoliberalismus?” von Vanberg, Flassbeck, Hampe und anderen.
Bei der Lekütre des Textes erwartet man den Schlusssatz: “Genau aus diesem Grunde bin ich sozialliberal.”