Die Vereinten Nationen haben ihren eigenen Weg, mit der Last umzugehen, die Tag für Tag auf sie einprasselt. Die Headquarters, das Glashaus am East River, repräsentieren allzu gut die Rolle, in der sich der Generalsekretär und viele der anderen Offiziellen befinden, wenn es auf der Welt brennt. Alle schauen hinein, alle blicken auf das Innere der UN und erwarten Durchblick. Doch man sieht nicht viel.
So auch am vergangenen Freitag, als mit dem Referendumsausgang ein kolossaler Rückschritt in der Geschichte internationaler Kooperation und transnationaler Integration begangen wurde. Unabhängig von den regionalen Argumenten für oder gegen einen Austritt Großbritanniens aus der EU hätte man ob der Tragweite der Entscheidung von den Vereinten Nationen ein Statement mit globaler Aussagekraft erwarten können.
Generalsekretär Ban Ki-Moon äußerte sich tatsächlich in Form einer offiziellen Mitteilung noch am Freitag. Von beiden Seiten, der EU und dem Vereinigten Königreich, erwarte er weiter eine enge Zusammenarbeit mit der internationalen Gemeinschaft. Die Entscheidung selber bewertet er nicht, sondern äußert kryptisch, das Ergebnis stehe „am Ende intensiver Überlegungen und reichhaltiger Diskussionen“. Nicht nur wurde der Wahlkampf von beiden Lagern auf unterstem Niveau geführt; es deutet einiges darauf hin, dass die Entscheidung vieler Briten gegen die EU eine emotionale war, keine die von „intensiven Überlegungen“ geleitet wurde. Der Populismus ist seit Freitag kein Gast mehr in Europa, er ist der Wirt.
Dass die Verantwortlichen in den UN dies zu Kenntnis nehmen, davon kann man ausgehen. Doch im Minenfeld von 193 Mitgliedsstaaten hat sich erneut kein hochrangiger Vertreter in einer nicht sicherheitspolitischen Debatte zu deutlichen Worten durchringen können. Dabei ist die Stimmung im Gebäude auch nach einigen Tagen noch aufgebracht. Einige Vertreter der britischen Ständigen Vertretung bei den Vereinten Nationen erschienen Montag nicht zu Terminen, der Pressekorps und andere Nicht-UN-Angestellte teilen ihre Bestürzung mit.
Es gibt drei Gründe, weshalb auch die UN als Prototyp intergouvernementaler Zusammenarbeit den Brexit nicht gleichgültig betrachten sollte.
1. Die symbolische Bedeutung des Brexits
2. Die wachsende Bedeutung der EU bei den Vereinten Nationen
Und 3. die Zukunft des Sicherheitsrats.
Die politischen Folgen des Referendums werden die nächsten Jahre nach und nach offengelegt werden, das Signal war hingegen schon vor der Bekanntgabe des Ergebnisses deutlich: Ein Land „befreit“ sich von den „Fesseln“, die eine fremde „Bürokratie“ um den eigenen „souveränen Nationalstaat“ gelegt hat (um es in einer Montage von Nigel Farage’s Reden auszudrücken). Diese Argumentationsweise sollte Vertreter der UN auf ihren Stühlen rutschen lassen; wenn nicht jetzt, dann in einigen Jahren.
Wie der frühere Leiter des Global Political Forums, James Paul zu bedenken gibt, stimmen sich die Vertreter der EU-Staaten bei den UN seit langem miteinander ab, weshalb die Union hinter den Kulissen längst ein wichtiger Akteur in der Staatengemeinschaft geworden ist, in der sie öffentlich nicht geschlossen auftritt. Bald werden die Briten ohne wichtige Verbündete in der internationalen Gemeinschaft verhandeln müssen.
Dies führt zu einer weiteren unsicheren Position: Dem britischen Sitz im UN-Sicherheitsrat. Verschiedene Experten und Zeitungen prognostizieren der einstigen Weltmacht eine unsichere Zukunft im wichtigsten Gremium der Vereinten Nationen. So stellt die New York Times bereits trocken fest, dass kaum ein Argument übrig ist, dass den britischen Sitz im Sicherheitsrat rechtfertigt. Zwar wird das Vereinigte Königreich nicht von heute auf morgen seinen ständigen Sitz verlieren, verlässt allerdings Schottland das dann erneut geschrumpfte Königreich, werden andere Staaten ihre Aspirationen nicht mehr hinter vorgehaltener Hand äußern müssen.
Alle Spekulationen sind noch Zukunftsmusik. Doch es ist klar, dass das Beben Brexit seine Wellen bis weit über den Atlantik schlägt.