Die grausigen Details kamen in den vergangenen Wochen zunehmend an die Oberfläche: Nachdem Saudi-Arabien zunächst abgestritten hatte, dass der in den USA lebende Journalist Jamal Khashoggi in der saudi-arabischen Botschaft in Istanbul gestorben sei, räumte das Königshaus Wochen später ein, Khashoggi sei „bei einem Faustkampf“ ums Leben gekommen. Glaubt man der Version der türkischen Polizei, wurde Khashoggi von einem fünfzehnköpfigen Sonderkommando gefoltert und getötet. Vier von ihnen gehören zur engsten Entourage des saudischen Kronprinzen und sollen den zerstückelten Leichnam in einem Koffer abtransportiert haben. Bis dato bleiben seine sterblichen Überreste verschollen.
Die Reaktion von Frankreich und Deutschland waren eindeutig. Sie verurteilten die gewaltsame Tötung „in aller Schärfe“ und forderten eine transparente Aufklärung des Falls von Seiten Saudi-Arabiens. Merkel verkündete zudem, bis zur Aufklärung des Falls keine Waffen an das saudische Königreich zu liefern. Die Reaktion der USA lässt sich jedoch kritisieren: Donald Trump, der sonst für seine schnellen und auslassenden Twitter-Reaktionen bekannt ist, hielt sich bedeckt und gab sogar an, die Aussagen aus Riad für glaubwürdig zu halten.
Der Fall Khashoggi stürzt die westlichen Länder in eine politische Krise, bei der es abzuwägen gilt, ob wirtschaftliche Interessen schwerer wiegen als die der eigenen Wertevorstellungen. Insbesondere die USA befinden sich in einer prekären Situation, da sie der wichtigste Rüstungsexporteur für das Königreich ist. Man stelle sich jedoch vor, derselbe Fall wäre in einem iranischen Konsulat geschehen, wie hätte Washington dann reagiert?
Doch auch Deutschland bedient sich einer Doppelmoral: Im Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD ist ein Exportstopp für alle Länder festgeschrieben, die „unmittelbar” am Jemenkrieg beteiligt sind. Jedoch bietet der Vertrag ein Schlupfloch, indem ein Bestandsschutz für bereits erteilte Vorgenehmigungen gewährt ist. Diese Sondergenehmigungen belaufen sich seit der Vereidigung der neuen Regierung im März auf Rüstungsexporte im Wert von 254 Millionen Euro für Saudi-Arabien. Würde die Bundesregierung diese Exporte nicht genehmigen, kämen auf die betroffenen deutschen Firmen hohe Strafzahlungen zu, welche wiederum an die Bundesregierung gereicht werden würden. Insbesondere die deutsche Rüstungsindustrie fordert Rückendeckung für bereits erteilte Genehmigungen. Als Beispiel nennt Hans Christoph Atzpodien, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie die Firma Lürssen, die Patrouillenboote an die saudische Küstenwache liefert: „Einige sind schon ausgeliefert, andere nicht. Da brauchen Unternehmen wie Lürssen, die mit Saudi-Arabien laufende Geschäfte haben, Vertrauensschutz“.
Wie schwer sich die deutsche Wirtschaft mit einem Bruch zu Saudi-Arabien tun würde, zeigte die Investorenkonferenz „Future Investment Initiative“ letzte Woche in Riad. Kronprinz Mohammed bin Salman lud wie bereits die vergangenen Jahre hochrangige Wirtschaftsvertreter ein, um für Investitionen in den Wüstenstaat zu werben. Viele Unternehmer blieben unter Druck der internationalen Gemeinschaft der Konferenz fern, darunter Christian Sewing von der Deutschen Bank, oder Siemens Chef Joe Kaeser, der unmittelbar vor Beginn absagte. Trotz der geschrumpften Teilnehmerzahl zog Saudi-Arabien eine positive Bilanz: Geschäfte in der Höhe von 50 Milliarden Euro insbesondere mit russischen und chinesischen Firmen im Öl, Gas und Verkehrssektor wurden abgeschlossen.
Laut Insiderberichten habe Siemens durch die Absage die Unterzeichnung eines möglicherweise milliardenschweren Kraftwerk-Auftrags vom Golfstaat verpasst. Ist das Fernbleiben dieser Konferenz also doch mehr als nur Symbolpolitik der deutschen Wirtschaft? Wohl kaum. Laut der Nachrichtenagentur Bloomberg wurde die Unterzeichnung nur aufgeschoben. Das Projekt könnte Siemens bis zu 20 Milliarden Dollar bringen.
Daran, dass die deutsch – saudischen Geschäftsbeziehungen langanhaltenden Schaden nehmen glaubt ohnehin niemand. Steven Cook, Senior Fellow beim Council on Foreign Relation geht von keiner dauerhaften wirtschaftlichen Schwächung für Saudi-Arabien aus, dazu sei der Golfstaat zu lukrativ: „Geben Sie der Sache sechs, neun, zwölf Monate, und das Business wird wiederkommen“, sagte Cook und ergänzte mit Hinweis auf die Konferenz im Ritz-Carlton: „Ich vermute, es werden Vertreter mit niedrigerem Profil kommen, aber die Leute wollen in Saudi-Arabien Geschäfte machen.“